80 Prozent der russischen Rohstoffe werden über die Schweiz gehandelt. Von Schweizer Rohstofffirmen. Sie tragen zum Machtausbau Putins bei, kritisiert Experte Oliver Classen von Public Eye.
ÖLIGE GESCHÄFTE: Wladimir Putin (links) schüttelt Ex-Glencore-Chef Ivan Glasenberg die Hand. Glencore besitzt einen Anteil am grössten russischen Ölkonzern Rosneft. (Foto: Getty)
work: Public Eye kritisiert, die Schweiz sei seit Jahrzehnten ein zentraler Fluchtort für russisches Geld. Sind wir also Putins Tresor?
Oliver Classen: Wir sind nicht nur sein Tresor. Seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 haben Schweizer Rohstoffhändler trotz Sanktionen massgeblich in Russland investiert und so zum Machtausbau von Putin und zu seinen finanziellen Ressourcen beigetragen. Die Schweiz alimentiert also Putins Kriegskasse.
Oliver Classen von Public Eye. (Foto: BZ)
Zum Beispiel?
Glencore hat 2016 zusammen mit Katar einen 11-Milliarden-Anteil am grössten russischen Ölkonzern Rosneft gekauft. Putin hat Glencore-Chef Ivan Glasenberg im Kreml dafür eine Medaille überreicht. Trafigura hat sich Ende 2020 mit 7 Milliarden Franken in ein ökologisch umstrittenes Rosneft-Projekt in der Arktis eingekauft. Es gilt als das nächste grosse Öl-Ding. Auch Vitol, der grösste Ölhändler der Welt, investierte letzten Oktober 3,5 Milliarden ins gleiche Projekt. Wohlverstanden: alle diese Deals erfolgten nach den westlichen Sanktionen wegen der Krim-Annexion. Und der Handel geht auch heute munter weiter.
Rohstoffhändler mit Sitz in der Schweiz dealen also trotz Krieg mit Öl und Gas
aus Russland?
Ja, die Tanker werden heute einfach umgeleitet. Statt in die USA, nach Kanada oder Grossbritannien fahren sie jetzt einfach nach Indien, China, aber auch in einzelne EU-Länder. Ein weiterer Skandal dabei ist, dass dieser Handel direkt von Preisschwankungen profitiert. Die Händler verdienen am meisten, wenn es auf dem Rohstoffmarkt rauf und runter geht. Je volatiler Angebot und Nachfrage sind, desto grösser ist die Gewinnmarge. Im Moment herrscht deshalb Goldgräberstimmung. Russisches Öl und Gas ist im Discount zu haben. Es ist für die Händler bis zu 20 Prozent billiger, weil sich niemand die Finger daran verbrennen will. Da locken schnelle Extraprofite.
Umgehungen von Sanktionen
sind Teil des Geschäftsmodells des Schweizer Rohstoffplatzes.
Eine besondere Nähe zu Putin wird dem Genfer Rohstoffhändler Gunvor nachgesagt. Wie verhält es sich damit?
Die Firma wurde von Putins engem Vertrauten und jetzigem Oligarchen Gennadi Timtschenko gegründet. Gunvor handelte früher bis zu 30 Prozent des russischen Öls und war ebenso wichtig wie die ebenfalls in Genf ansässigen russischen Staatskonzerne Gazprom, Rosneft und Litasco. Nach der Annexion der Krim musste der von den USA sanktionierte Timtschenko seine Anteile verkaufen, um Gunvor zu retten. Niemand weiss, wie viel russisches Öl von Firmen wie Gunvor heute gehandelt wird. Das ist eines der bestgehüteten Geschäftsgeheimnisse.
Intransparenz als Geschäftsmodell?
Wir haben in der Schweiz 600 bis 900 Firmen im Rohstoffhandel. Die allermeisten davon fliegen unter dem Radar von Behörden und Öffentlichkeit. Auch weil ein Viertel bis ein Drittel davon Briefkastenfirmen sind. Solche Firmen sind komplex konstruiert und darauf ausgerichtet, Steuern zu optimieren und die wahren Besitzverhältnisse zu verschleiern. Deshalb wäre es hier absolut entscheidend, Transparenz zu schaffen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung erfolgt jetzt mit dem Auftrag der OECD an die Schweiz, endlich ein Register für die wirtschaftlich Berechtigten zu schaffen, aus dem die wahren Eigentümer ersichtlich sind. In der EU ist das schon seit 2018 Standard.
Und Sie glauben, das SVP-gesteuerte Finanzdepartement wird das tun?
Finanzminister Ueli Maurer kommt nicht darum herum. Die Schweiz ist Gründungsmitglied der «Financial Action Task Force» und muss mitziehen. Ohne dieses Transparenz-Instrument stolpert der Staat solchen Firmen, die auf Steuervermeidung und Eigentumsverschleierung aus sind, stets hinterher. Die Rohstoffhändler ändern ihre Firmenkonstrukte dauernd, um Geldflüsse und deren Nutzniesser im Dunkeln zu halten. Darum sucht ja jetzt die ganze Welt nach Putins Vermögen, und selbst der US-Geheimdienst CIA findet es nicht …
Gäbe es für die Schweiz Sanktionsmöglichkeiten, damit Putins Kriegskasse nicht länger durch russisches Öl und Gas gefüllt wird?
Bei Sanktionen sind wir von unseren Haupthandelspartnern in der EU abhängig. Rechtlich haben wir da kaum eigene Optionen. Das steht zwar in groteskem Kontrast zur Schweizer Politik, die sonst ja mantramässig auf Unabhängigkeit von der EU pocht. Doch unser überholtes Embargogesetz verbietet dem Bundesrat eigenständiges Agieren. Die Schweiz kann Sanktionen nur nachvollziehen, muss es aber nicht. Diese politisch gewollte Selbstkastration liess Sanktionsumgehungen zu einem Teil des Geschäftsmodells vom Schweizer Rohstoffplatz werden. So machte auch Rohstoffhändler und Glencore-Gründer Marc Rich mit Südafrika, Kuba oder Iran fette Profite.
Aber zurück zu Ihrer Frage: Damit solche Sanktionsumgehungen nicht auch im Fall von Russland passieren können, fordern wir von Public Eye, dass diese schleunigst gesetzlich verunmöglicht werden.
Und was ist mit den Banken? Die finanzieren den Rohstoffhandel ja massiv mit.
Es gibt zwei Bereiche: Banken finanzieren einzelne Frachten, oder sie leihen den Rohstofffirmen Geld. Erst kürzlich hat Trafigura bei einem Konsortium einen 1,2-Milliarden-Kredit aufgenommen, um die höheren Rohstoffpreise abzufedern. Niemand weiss, ob dieses Geld ins Geschäft mit russischem Öl oder Gas fliesst. Es gibt keine Rechenschaftspflicht, jegliche Transparenz fehlt.
Credit Suisse und Société Générale gaben ihren Rückzug aus der Finanzierung des Handels mit russischem Öl und Gas bekannt. Ist das glaubhaft?
Damit war primär die Finanzierung einzelner Frachten gemeint. Aber niemand kann das überprüfen. Wie gesagt: Die Margen im Handel gerade mit russischem Öl sind aktuell so gigantisch, dass auf Bonusbasis bezahlte Händler dafür auch besonders hohe Risiken eingehen. Manchmal tun sie das sogar an der Geschäftsleitung vorbei, aber nie ohne Beteiligung einer Bank. Übrigens mischt nicht nur die CS in der Rohstofffinanzierung ganz vorne mit, sondern auch die Genfer Kantonalbank.