Einschüchtern und schassen: So wollte der Altersheimkonzern Orpea in Polen die Gewerkschaft bekämpfen. Doch er hatte nicht mit der Physiotherapeutin Anna Bacia gerechnet.
ANNA BACIA: «Schönes Wochenende, Orpea! Ich bin zurück an der Arbeit!» In einem Brief teilt die Physiotherapeutin Orpea ihre Bereitschaft zum Wiedereinstieg mit. (Foto: ZVG)
Vor drei Jahren wurde sie entlassen. Heute hat sie ihren Job zurück. Und ihr Arbeitgeber Orpea zahlt ihr sogar Lohn dafür, dass sie für die Gewerkschaft wirbt. Das ist die Geschichte von Anna Bacia. Der Physiotherapeutin, die die Orpea-Manager das Fürchten lehrte.
Die Geschichte beginnt im Dezember 2018 in einem Vorort von Polens Hauptstadt Warschau, in einem der damals 12 polnischen Altersheime des Pflegekonzerns. Pflegende, Physiotherapeuten und Köchinnen haben genug von den schlechten Löhnen, die immer noch weiter sinken, und von der ständigen Unsicherheit. Wie die Mehrheit der rund 1000 Orpea-Mitarbeitenden in Polen haben sie keinen Arbeitsvertrag, sondern sind «freiberuflich» tätig. Und damit der Willkür des Heimleiters ausgeliefert. Physiotherapeutin Bacia erklärt: «Unser Lohn war nicht schriftlich festgelegt, sondern abhängig von einem Bonus. So wussten wir nie, wie viel wir im nächsten Monat bekommen.» Sie beschliessen, eine Gewerkschaft der Orpea-Mitarbeitenden zu gründen, um zusammen für faire Löhne zu kämpfen.
«Orpea hat nicht damit gerechnet, dass ich mich wehre.»
VERHÖR IN DER ORPEA-ZENTRALE
Doch Orpea will das Vorhaben im Keim ersticken: Noch bevor die Gewerkschaft offiziell gegründet ist, entlässt das Management eine Pflegerin, die sich besonders engagiert hatte. Ihre Nachfolgerin, die in der Küche arbeitete, wurde massiv bedroht, wie Anna Bacia berichtet: «Sie wurde am Anfang ihrer Schicht abgeholt und zur Orpea-Zentrale gefahren. Dort haben fünf oder sechs Leute sie regelrecht verhört, wie sie mir nachher sagte.» Auch sei ihr gedroht worden, ihre Arbeitsstunden zu kürzen. Die Taktik geht auf: die Köchin tritt als Gewerkschaftsvertreterin zurück.
Zum dritten Mal in weniger als drei Monaten muss die Orpea-Gewerkschaft eine neue Vertreterin bestimmen. Anna Bacia sagt: «Ich mache das.» Gezögert habe sie nicht, sagt die 43jährige gegenüber work: «Ich war begeistert von der Idee einer Orpea-Gewerkschaft und bin es heute noch. Alle sollen die Chance auf ein besseres Leben haben.»
Doch am 8. April 2019 wird auch sie geschasst. Das Management konstruiert einen Mobbing-Vorwurf, um sie los zu werden. Zu dem Zeitpunkt ist Bacia frisch geschieden mit zwei kleinen Kindern: «Das wussten sie natürlich. Die haben nicht damit gerechnet, dass ich mich wehre.»
LÜGEN VOR GERICHT
Tut sie aber. Verteilt zusammen mit Kolleginnen Flugblätter vor anderen Orpea-Heimen und organisiert Protestbriefe. Als das nichts nützt, geht sie vor Gericht. Unterstützt von der polnischen Gewerkschaft «Konfederacja Pracy» (Konföderation der Arbeit), der sich die Orpea-Gewerkschaft angeschlossen hat. Da bietet Orpea ihr umgerechnet 7000 Franken, wenn sie die Klage zurückziehe. Bacia lehnt ab.
Für den Prozess ruft Orpea viele Zeugen auf, um den Mobbing-Vorwurf zu untermauern. Doch die hätten sich in Widersprüche verstrickt, sagt Physiotherapeutin Bacia: «Die Richterin merkte, dass sie logen.» Zwei Jahre nach ihrer Entlassung gewinnt sie den Prozess. Und wie: Orpea zahlt ihr den vollen Lohn für diese Zeit nach und wird vom Gericht dazu verknurrt, sie wieder einzustellen.
Zwar arbeitet sie heute in einem anderen Orpea-Heim, etwa 20 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt. Doch das sei gut so, sagt sie schelmisch: «Als ich vor einem Jahr dort anfing, kannten die Leute die Gewerkschaft noch nicht. Heute haben wir schon 20 Mitglieder, fast die Hälfte der Belegschaft.»
AM SCHLUSS WAR’S EINFACH
Nach dem Sieg vor Gericht kämpfen Bacia und die Gewerkschaft weiter. In zwei weiteren Prozessen setzen sie durch, dass sie jetzt die polnischen Orpea-Mitarbeitenden offiziell vertreten. Und im Februar dieses Jahres unterzeichnen sie mit Orpea einen Vertrag, der die Rechte der Gewerkschaft verbindlich festlegt. Dieser Vertrag ebnet den Weg für ein weltweites Abkommen, das die Dachgewerkschaft Uni Global soeben mit Orpea abgeschlossen hat (siehe Spalte ganz rechts). Unterzeichnet wurde es am 8. April 2022. Auf den Tag genau drei Jahre nachdem Anna Bacia entlassen worden war.
In drei Jahren von der Repression zu vertraglich garantierten Rechten. Und das beim Orpea-Konzern, der für den Profit buchstäblich über Leichen geht (siehe Artikel links). Auf die Frage, wie sie das geschafft habe, sagt Anna Bacia: «Am Schluss war es gar nicht mehr so schwer. Die Orpea-Chefs haben eingesehen, dass sie für meine Entlassung einen zu hohen Preis bezahlt haben.» Denn im Kampf um ihre Profite in der Alterspflege sei Orpea ein guter Ruf enorm wichtig, und der habe gelitten. Weltweit, aber auch in Polen, wo ihre Geschichte einige Wellen geworfen hat. Bacia lacht und sagt: «Jetzt sind die Chefs nett zu mir. Sie haben keine andere Wahl.»
So kommt es auch, dass Anna Bacia heute ganz offiziell pro Monat 28 Stunden ihrer Arbeitszeit für Gewerkschaftsarbeit verwenden darf. Etwa, um in anderen Heimen für die Gewerkschaft zu werben. Als sie dies nach ihrer Entlassung getan habe, hätten die Heimleiter jeweils die Polizei gerufen. «Heute bezahlt mich Orpea dafür.»
Pflege-Demos am 12. Mai: Taten statt Worte!
Nach dem Applaus kam der Abstimmungssieg: Im letzten November sagten 61 Prozent und fast alle Kantone Ja zur Pflegeinitiative. Und damit zu besseren Arbeitsbedingungen in der Pflege, zu einer angemessenen Finanzierung der Pflegeleistungen und mehr Ausbildung. Doch der Bundesrat spielt bei den ersten zwei Aufträgen der Stimmenden auf Zeit.
Nicht mit uns, sagen jetzt die Pflegenden. Am 12. Mai, dem Internationalen Tag der Pflege, gehen sie auf die Strasse. In neun Städten organisiert die Unia zusammen mit anderen Gewerkschaften und Verbänden Aktionen, um Bundesrat und Parlament endlich Beine zu machen. Denn die Zeit drängt. Unia-Mann Samuel Burri: «Während die Politik zögert, verlassen zu viele weitere Pflegende den Beruf. Das darf so nicht weitergehen!»
Infos zu den Aktionen gibt’s unter: www.unia.ch/pflege.
Weltweites Orpea-Abkommen Sieg für die Gewerkschaft
«Orpea anerkennt die wichtige Rolle der Gewerkschaften in der Interessensvertretung der Mitarbeitenden.» So steht es am Anfang des neuen Abkommens, das der Gesundheitskonzern Orpea mit der internationalen Dachgewerkschaft Uni Global geschlossen hat. Adrian Durtschi, Verantwortlicher Pflege bei Uni Global, sass auch am Verhandlungstisch. Er erinnert sich: «Nachdem wir dreimal hintereinander vor Gericht gewonnen hatten, sagten wir dem Orpea-Management: Wir können auf diesem Weg weiterfahren. Oder wir können reden.» Reden, sagten die Konzernchefs.
FORTSCHRITTE. Das Ergebnis ist ein 12 Seiten dicker Vertrag, verbindlich für alle Orpea-Gesellschaften weltweit. Zu den Heimen haben Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften freien Zugang. Sie dürfen ihre Organisation an Veranstaltungen für neue Mitarbeitende vorstellen. Gewerkschaftsmitglieder müssen keinerlei Nachteile befürchten, und Orpea wird ihre Kader schulen, «in der Frage der gewerkschaftlichen Organisierung neutral zu bleiben». Orpea finanziert zudem ein jährliches Treffen von Arbeitnehmervertretern «aus allen Bereichen des Unternehmens».