Dank dem Widerstand der Arbeitenden muss die Zugherstellerin Alstom in Villeneuve VD beim geplanten Abbau zurückrudern.
GUTE AUFTRAGSLAGE: Im Alstom-Werk in Villeneuve VD arbeiten 400 Beschäftigte. Einen Drittel davon wollte der Konzern entlassen, obwohl erst gerade grosse Zugbestellungen aus Norwegen, Schweden und Deutschland eingingen. (Foto: Alstom)
Die Verhandlungen für den Sozialplan waren bei Redaktionsschluss dieser work-Ausgabe (12. April) zwar noch im Gange. Aber schon jetzt können die Unia und die Belegschaft des Alstom-Werks in Villeneuve VD nahe Montreux einen Erfolg verbuchen: Alstom hat zugesichert, 30 Arbeitsplätze weniger als ursprünglich angekündigt abzubauen. Das sagt Unia-Industriechef Yves Defferrard. Der befürchtete Kahlschlag findet somit nicht statt.
VORGABEN MISSACHTET
Zur Erinnerung: Anfang Dezember 2021 schockierte die französische Zugherstellerin Alstom die Schweizer Öffentlichkeit mit der Ankündigung, in Villeneuve rund 150 Stellen abzubauen. Und dies kurz vor Weihnachten! In diesem Werk arbeiten derzeit rund 400 Beschäftigte. Und aus diesen Hallen kommen die zweistöckigen FV-Dosto-Züge der SBB, die wegen Lieferschwierigkeiten lange in den Schlagzeilen waren. Alstom begründete den Abbau von fast einem Drittel der Stellen damit, dass es zu wenig neue Aufträge gebe.
Als europäischer Konzern muss Alstom auch hier die schärferen EU-Regeln einhalten.
Die Hiobsbotschaft kam, wenige Wochen nachdem Alstom einen wichtigen Wettbewerb an den Schweizer Konkurrenten Stadler Rail verloren hatte. Die SBB vergaben den Bau von 286 neuen Zuggarnituren für den Regionalverkehr ins thurgauische Bussnang statt an den Genfersee. Mit einem Volumen von zwei Milliarden Franken war das der grösste Auftrag in der Schweizer Bahngeschichte. Zwar focht Alstom den Entscheid an, doch das nützte dem Konzern bis jetzt wenig.
Angesichts der drohenden Entlassungen organisierten sich die betroffenen Alstom-Leute an Betriebsversammlungen. Keine leichte Sache für die Unia. Laut Unia-Industriechef Yves Defferrard hatte sich die Zusammenarbeit zwischen Belegschaft, Personalkommission und Gewerkschaft noch nicht optimal eingespielt. Es gab sogar Widerstände, der Unia ein Verhandlungsmandat zu erteilen. Doch bald stellte sich der erste Punktsieg ein. Denn das Management hatte klar die Vorgaben bei Massenentlassungen missachtet. Da Alstom ein europäischer Konzern ist, muss er auch in der Schweiz die geltenden Regeln der EU einhalten. Diese sind schärfer und somit arbeitnehmerfreundlicher als unsere. So muss ein Konzern bei Massenentlassungen eine Konsultationsfrist von mindestens 8 bis 12 Wochen einhalten. Und während dieser Zeit können die Arbeitnehmenden Vorschläge für die Rettung von Arbeitsplätzen einreichen.
ZURÜCK AUF FELD EINS!
Nach einem Treffen musste die Direktion ihre voreilige Ankündigung deshalb wieder zurücknehmen: die Massenentlassung bei der Belegschaft, den Gewerkschaften und dem Wirtschaftsdepartement des Kantons Waadt neu ankündigen, genauere Angaben über den Umfang des Abbaus machen, die Konsultationsfrist beachten und einen Sozialplan ausarbeiten. Alstom gab an, Villeneuve neu in einen reinen Service-Hub umwandeln zu wollen. Wie sich bald herausstellte, war dieser Plan wenig durchdacht. Weder konnte Alstom klare Zahlen zu dieser Umwandlung auf den Tisch legen, noch erscheint eine solche überhaupt realistisch. Denn wo keine Produktion mehr ist, ergibt auch ein Service wenig Sinn.
Zudem zeigt ein Blick auf den Milliardenkonzern, dass es ihm keineswegs an Aufträgen mangelt. Erst kürzlich vermeldete er grosse Zugbestellungen aus Norwegen, Schweden und Deutschland. Nach der Übernahme der kanadischen Bombardier vor einem Jahr ist Alstom heute Europas grösste Zugherstellerin und nach der chinesischen CRRC die zweitgrösste weltweit. Es scheint aber, dass sich Alstom bei der Bombardier-Übernahme verkalkuliert hat. Der französische Konzern steht jetzt vermehrt unter dem Druck von Investoren, die kontinuierlich Rendite sehen wollen. Was aber im schwankenden Zuggeschäft schwieriger als anderswo zu machen ist.