Bahnbrechendes Urteil gegen Lohn- und Sozialdumping: Der Taxidienst Uber ist definitiv Arbeitgeber und muss die Fahrerinnen und Fahrer anstellen.
STOP UBER! Aktion von Fahrerinnen und Fahrern in Zürich. (Foto: Urs Jaudas / Tamedia)
Jetzt ist es amtlich: Uber verstösst gegen das Gesetz. Und zwar macht das der US-amerikanische Dumping-Taxidienst Uber in der Schweiz seit neun Jahren. Und rechtfertigt sich immer wieder: Die Fahrerinnen und Fahrer seien gar nicht angestellt, sondern selbständig. Falsch, sagt jetzt das Bundesgericht: Zwischen dem US-Konzern und denen, die für ihn fahren, besteht ein Arbeitsvertrag, und zwar seit neun Jahren. Dass Uber selbst keine solchen Verträge ausstellt, spielt keine Rolle. Somit muss Uber alle Pflichten eines Arbeitgebers erfüllen, auch bei seinem Essenslieferdienst Uber Eats. Etwa Beiträge an die Sozialversicherungen zahlen. Ebenso den kantonalen Mindestlohn, wo ein solcher gilt. Und zwar rückwirkend.
«Das ist ein riesiger Fortschritt. Unser Einsatz hat sich gelohnt!»
NEUE LEBENSZEIT
Damit bestätigt das Urteil exakt das, was die Unia seit Jahren fordert. Entsprechend gross ist die Freude bei Véronique Polito von der Unia-Geschäftsleitung: «Das ist ein riesiger Fortschritt. Unser langjähriger Einsatz gegen die Uberisierung hat sich gelohnt!»
Erleichtert ist auch Taxifahrer Mohammed Gharbi (47). Wegen der Uber-Dumping-Konkurrenz habe er bis zu 15 Stunden täglich gearbeitet und auf Kundschaft gewartet, um über die Runden zu kommen. «Jetzt machen wir den gleichen Umsatz in weniger Stunden, so wie früher. Ich habe wieder Zeit zum Leben!» Jahrelang habe er gegen Uber protestiert: «Als ich vom Urteil des Bundesgerichts hörte, habe ich geweint vor Freude.»
Uber wurde 2009 in San Francisco (USA) als Limousinenservice gegründet. Heute ist er weltweit in über 10’000 Städten tätig. Immer mit dem Ziel, das lokale Taxigewerbe zu verdrängen. Der Umsatz betrug letztes Jahr 17 Milliarden Dollar, CEO Dara Khosrowshahi garnierte knapp 20 Millionen.
WIDERSTAND DER TAXISTAS
2013 nahm Uber die Schweiz ins Visier, zuerst Zürich, später Basel, Genf und Lausanne. Und es waren die in der Unia organisierten Taxifahrerinnen und -fahrer, die als erste Alarm schlugen. Sie verloren Knall auf Fall rund die Hälfte ihres schon vorher bescheidenen Einkommens. Mit grossen Taxi-Demos in Basel, Bern, Zürich und der Westschweiz protestieren sie gegen «Dumping-Uber».
Ab 2017 organisierten sich immer mehr Uber-Fahrerinnen und -Fahrer in der Unia. Zweimal streikten in Genf Chauffeurinnen und Chauffeure von Uber-Subunternehmen. Und liessen illegale Praktiken dieser Uber-«Partnerfirmen» auffliegen: falsche Angaben an die Behörden, um Bewilligungen zu erschleichen, und Bschiss bei den Beiträgen für die Sozialversicherungen (work berichtete: rebrand.ly/ubertrick). Auch nach dem Bundesgerichtsurteil holt jetzt Uber den Trick mit den «Partnerfirmen» aus der Mottenkiste (siehe Kasten).
Billig ist der Fahrdienst Uber nicht deshalb, weil er besser ist. Sondern, weil er für seine scheinselbständigen Mitarbeitenden keine Beiträge an Sozialversicherungen zahlt. Zwar stufte die Suva schon 2016 einen ersten Uber-Fahrer als Angestellten ein. Aber Uber zog die Sache vor Gericht. Diese Verzögerungstaktik fuhr der Konzern auch mit unzähligen anderen Gerichtsentscheiden. Um möglichst lang ungestört kassieren zu können. Zuletzt im Januar dieses Jahres, siehe rebrand.ly/ubertaktik. Deshalb ist der neue Bundesgerichtsentscheid so wichtig: Den kann Uber nicht mehr anfechten. Unia-Frau Polito sagt dazu: «Der Weg über die Gerichte geht sehr lange. Aber wenn ein Arbeitgeber sich querstellt, ist es die einzige Möglichkeit, solche Geschäftsmodelle zu verhindern.»
Denn billig ist Uber auch, weil der Fahrdienst als Plattform organisiert ist. Er bindet viel mehr Arbeitskräfte an sich, als er Arbeit hat. Das ist attraktiv für die Kundschaft, weil der Dienst ständig verfügbar ist. Aber es ist der Horror für die Mitarbeitenden, weil sie ständig in Konkurrenz zueinander stehen. Und nur dann und auch noch schlecht bezahlt werden, wenn die Plattform ihnen eine Arbeit zuweist. Oder gar nichts mehr verdienen, wenn sie krank sind.
UBER-MODELL MACHT SCHULE
Das Uber-Plattform-Modell versuchten andere zu kopieren. Oft waren es Start-ups wie der Velokurier Notime, die Putzkräfte-Vermittlung Batmaid oder der Essenslieferdienst Smood, wo der Arbeitskonflikt andauert. Aber auch die Migros lancierte 2018 einen Heimlieferdienst namens «Amigos», mit einem Dumpinglohn von 7 Franken 90 pro Einkaufstasche. Da diese Firmen in der Regel auf Scheinselbständigkeit à la Uber setzen, lässt der Widerstand nicht lang auf sich warten. Und ist oft erfolgreich, wie Unia-Mann Roman Künzler (siehe Interview Seite 6) weiss: «Die meisten Firmen haben in der Folge zumindest die Leute angestellt.»
Das Bundesgericht macht klar: Jetzt muss dies auch Uber tun.
Genf: Uber erfindet neues Konstruk
Bereits einen Tag nach dem Bundesgerichtsurteil funktionierte die Uber-App in Genf nicht mehr. Verfügt durch den Kanton. Der hatte schon 2019 ein Verbot ausgesprochen, doch Uber hatte es angefochten. Jetzt gab das Bundesgericht dem Kanton recht. Schnell zauberte jetzt Uber ein Konstrukt mit «Partnerunternehmen» aus dem Hut. Diese sollen in Genf die Fahrerinnen und Fahrer einstellen und «alle Sozialversicherungsabgaben und den Mindestlohn garantieren». Im Rest der Schweiz ändere sich nichts. Nach knapp einer Woche bewilligte die Genfer Regierung den Uber-Dienst wieder. Denn Uber, so die Regierung, habe sich auch verpflichtet, den Fahrerinnen und Fahrern «eventuell geschuldete Beträge» aus der Vergangenheit zurückzuzahlen.
OFFENE FRAGEN. Das lässt viele Fragen offen. Was zahlen die Subunternehmen? Wie verträgt sich das Konstrukt mit dem Urteil, wonach Uber (und nicht ein «Partner») der Arbeitgeber ist? Was passiert, wenn Uber die Forderung eines Fahrers aus der Vergangenheit ablehnt? Unia-Mann Roman Künzler: «Bisher haben wir vom Kanton Genf darauf keine Antworten erhalten» (siehe auch Interview unten).