Gefährliche Temperaturen: Unia fordert einen Baustop ab 35 Grad!
Affenhitze bringt den Bau ans Limit

Immer heftiger überrollen ­Hitzewellen die Schweiz. Besonders gefährdet sind ­Bauarbeitende. Griffige Regeln sind parat, doch die Meister bocken.

GEFÄHRLICHE HITZE: An Tagen mit über 30 Grad passieren sieben Prozent mehr Baustellen-Unfälle. Das zeigen Untersuchungen der Suva. (Foto: Keystone)

Wer Mitte Juni unter sengender Sonne chrampfen musste, hatte nichts zu lachen. Landesweit überstieg die Ozon-Konzentration sieben Tage lang den Grenzwert. Zudem verzeichneten diverse Wetterstationen die heissesten Juni-Tem­peraturen seit Messbeginn. So in Neuenburg (34,1°C), Delsberg JU (35°C) und Sitten VS (36,4°C). Die bisherigen Spitzenwerte dieser ­Orte waren erst drei Jahre alt.

An Tagen mit über 30 Grad passieren deutlich mehr Unfälle.

HAUTKREBS AUF DEM VORMARSCH

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) hat den Ernst der Lage erkannt und zählt Hitzewellen neu zu den grössten Bedrohungen für das Land. Zur Erinnerung: Im Rekordhitzejahr 2003 starben fast 1000 Menschen mehr als üblich. Besonders gefährdet laut BABS: Schwangere, Menschen über 55 Jahre oder gesundheitlich Angeschlagene. Aber eben auch: «Personen, die länger eine anstrengende Arbeit verrichten oder Schutzbekleidung tragen», in «Kran­kabinen, Gruben oder Tanks» arbeiten oder «im Freien körperliche Schwerarbeit leisten». Im Klartext: Bauleute sind besonders gefährdet. Tatsächlich sind die Zahlen beunruhigend.

Sieben Prozent mehr Baustellen-Unfälle passieren an Tagen mit über 30 Grad. Das zeigen Untersuchungen der Suva. Und: Jedes Jahr erkranken 1000 Personen an hellem Hautkrebs, weil sie bei der Arbeit ungenügend geschützt sind. Das schätzt die Suva. Die registrierten Fälle sind nämlich viel tiefer. Suva-Sprecher ­Daniel Vonlanthen erklärt: «Die meisten Betroffenen wissen gar nicht, dass heller Hautkrebs und in einigen ­Fällen auch schwarzer Hautkrebs in der Schweiz als Berufskrankheit anerkannt sind.» Doch wegen laufender Präventionskampagnen steige das Bewusstsein für die UV-Problematik. Für Vonlanthen ist daher klar: «Kurz- und mittelfristig erwarten wir einen deutlichen Anstieg der Fallzahlen.» Schon weiter ist da Deutschland.

Dort schlug die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) vor zwei Jahren Alarm: Hautkrebs sei mittlerweile die häufigste Berufskrankheit auf dem Bau. Jedes Jahr würden rund 3000 Bauarbeitende zu neuen Verdachtsfällen, «Tendenz stark steigend». Ursache sei die Klimaerwärmung, mit der auch die UV-Belastung steigt. Auch Arbeitsunfälle durch Hitzschlag, Schwächeanfälle oder Sonnenstiche hätten auf deutschen Baustellen zugenommen.

LASCHE REGELN

Theoretisch ist klar definiert, wie die Gesundheit bei Hitze zu schützen ist: «Körperliche Anstrengungen vermeiden», lautet die oberste Verhaltensregel des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ergänzt: «Die Ausführung von Schwer­arbeit im Freien sollte (…) ausserhalb der Perioden hoher Ozonkonzentration ausgeführt werden.» Also nicht an Hitzetagen zwischen 14 und 18 Uhr. Das Problem: Verbindlich sind die Regeln nicht. Die Bauarbeitenverordnung schreibt nur vor: «Bei Sonne, Hitze und Kälte sind die ­erforderlichen Massnahmen zum Schutz der ­Arbeitnehmenden zu treffen.» Wann «Hitze» beginnt und welche Massnahmen zu treffen sind, bleibt offen. Und noch ein Problem gibt es: ­Firmen können die Arbeit wegen Hitze zwar einstellen und bei der Arbeitslosenversicherung Schlechtwetterentschädigung beantragen. Diese deckt 80 Prozent des Lohnes. Ein Ausfall wird aber nur dann entschädigt, wenn er mindestens einen halben Tag betrifft. Zudem haben Firmen pro Monat einen Selbstbehalt von zwei bis drei Tagen zu tragen. Und kommt es zu Bauverzögerungen, sehen sie sich mit Konventionalstrafen konfrontiert. Solche Strafen sind zwar bei Verzögerungen wegen Natureinflüssen ausdrücklich nicht zugelassen. Doch Bauherren versuchen es immer wieder und setzen Baumeister so unter Druck. SP-Nationalrat und ­SGB-Chef Pierre-Yves Maillard hat deshalb am 15. Juni beim Bundesrat interveniert. In einer Interpellation will er von ihm wissen, was er gegen das Problem zu tun gedenke. Und ob er Bauherren und Baumeister an ihre Verantwortung erinnern werde. Eine Antwort steht noch aus.

TESSINER LÖSUNG

Schon lange dran ist die Unia. Sie fordert den Stop der Bautätigkeiten ab 35 Grad. Ausserdem sollen Endtermine für Bauprojekte verschoben werden müssen, wenn die Arbeit aus Gesundheitsschutzgründen ruht. Das hat die Gewerkschaft in den aktuellen Verhandlungen über ­einen neuen Landesmantelvertrag (LMV) vorgeschlagen. Ebenfalls präsentierte sie eine Lösung, wie sie für den Tessiner Strassenbau bereits gilt: Einstellung der Arbeit ab 13 Uhr, wenn die behördliche Hitzewarnung die Stufe III erreicht.

Aber gegen all das hat sich der Baumeisterverband bisher gesträubt. Ihm ist sogar das Modell Österreichs zuwider. Gezwungen sind die Firmen auch dort zu nichts. Doch sie dürfen die Arbeit schon bei 32,5 Grad einstellen und die Löhne von einer paritätischen Kasse bezahlen lassen. Mehr als die Hälfte aller Baumeister machten 2019 Gebrauch von diesem Recht.

1 Kommentare

  1. Peter Bitterli 23. Juli 2022 um 22:31 Uhr

    Also, das finde ich also auch! Wieso im Sommer auf dem Bau büetzen! Wieso bocken jetzt die Meister wieder!

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