Hitze, Hektik und halbierte Wochenenden: Galaxus-Mitarbeitende berichten von miesen Zuständen beim grössten Schweizer Onlinehändler.
HAUTPSACHE SCHNELL: Weil Galaxus verspricht, dass die Bestellung am nächsten Tag im Briefkasten liege, ist in der Warenhalle jeden Abend die Hölle los. (Foto: Keystone)
17 Sekunden. So viel Zeit hat Galaxus-Mitarbeiterin Andrea Frick *, um einen Artikel vom Palett zu nehmen, zu scannen und in die richtige Schachtel zu legen. Manchmal habe sie Glück, sagt sie, und die Artikel seien leicht: «Zum Beispiel Handys. Wenn ich Pech habe, sind es Hanteln, und jedes Paket ist 25 Kilo schwer.»
Frick arbeitet in Wohlen AG im Hauptlager von Digitec Galaxus. Der grösste Online-Versandhändler der Schweiz boomt. 2001 von drei Gamer-Freunden gegründet, verkaufte Digitec zuerst Elektronikartikel und wurde rasch zum Marktführer. Gut zehn Jahre später folgte der Webshop Galaxus, der heute von der Sonnencrème bis zum Kühlschrank fast alles verkauft. Kurz darauf stieg die Migros ein, sie kontrolliert heute 70 Prozent des Unternehmens. 2019 knackte es die Grenze von einer Milliarde Franken Umsatz.
Dann kam Corona. Der Lockdown und die Angst vor Ansteckungen liessen bei allen Onlinehändlern die Kassen klingeln. Am meisten bei Digitec Galaxus: In nur zwei Jahren verdoppelte die Firma den Umsatz auf zuletzt 2,1 Milliarden und liess damit auf dem Schweizer Markt Zalando und Amazon deutlich hinter sich.
«Der Chef befiehlt immer wieder kurzfristige Samstags-Einsätze.»
2,1 MILLIARDEN UMSATZ
Davon haben die Mitarbeitenden nichts. Im Gegenteil. Fabienne Walter *, auch sie Logistikerin beim Wareneingang, sagt es so: «Vor Corona war Digitec Galaxus ein toller Arbeitgeber, sozial und mit fast familiärem Klima. Heute ist der Druck unerträglich.» Andrea Frick erklärt: «Vor etwa vier Jahren lag das Soll noch bei 65 Artikeln pro Stunde, heute sind es 210.» Klar werde ständig technisch aufgerüstet, um die Effizienz zu steigern. Doch im Kern heisst das: Heute müssen die Mitarbeitenden dreimal so schnell arbeiten.
Nicht besser haben es diejenigen, die Artikel für den Versand verpacken. Am Abend herrscht hier Hektik pur. Weil Galaxus der Kundschaft eine schnelle Lieferung verspricht: Was bis 19 Uhr bestellt wird, ist am nächsten Tag im Briefkasten. Die Galaxus-Mitarbeiterin Sara de Agostini * sagt: «Das bricht uns das Genick.» Denn nach Feierabend kämen ohnehin viel mehr Bestellungen rein als tagsüber, und um 21 Uhr müssten alle Artikel versandbereit sein, damit es noch reiche für die Post. Die Folge, so Andrea Frick: «Die Leute sind nur noch am Jufle. Permanent.» Und dies in einer drückend heissen Halle. In der Warenannahme sei es aktuell 30 Grad, berichtet Frick am Ende eines heissen Junitages.
work konfrontierte Galaxus mit den Aussagen der Mitarbeitenden. Anstelle einer Antwort verweist das Unternehmen auf ein öffentliches Statement von Mitte Mai. Damals hatte der «Sonntagsblick» über die Missstände beim Onlinehändler berichtet. Galaxus-CEO Florian Teuteberg räumte darauf ein, dass es vor allem im Hochsommer zu «Übelkeit, Kreislauf- oder Blutdruckproblemen» komme. Und zwar rund 30 Mal pro Jahr allein im Lager Wohlen, wo rund 800 Logistikerinnen und Logistiker arbeiten. Also, so Teuteberg, sei jeder und jede «durchschnittlich einmal alle zehn Jahre» betroffen.
Am Samstag in der Badi abkühlen können sich die Galaxus-Mitarbeitenden oft nicht. Denn immer wieder ordnen die Chefs kurzfristig Samstagseinsätze an: «Mindestens einmal pro Monat, manchmal öfter», sagt Andrea Frick. Galaxus-Chef Teuteberg bestätigt die Samstagsarbeit. Sie könne aber kompensiert werden und sei freiwillig. Andrea Frick erlebt das anders: «Viele Teamleiter gehen auf einzelne Kollegen zu und sagen: Du musst am Samstag arbeiten. Die wagen es nicht, sich zu wehren. Aus Angst, den Job zu verlieren.» Wer sich mehrmals weigere, «freiwillig» am Samstag zu arbeiten, riskiere eine Verwarnung. Sie selber habe bereits zwei Verwarnungen kassiert. «Weil ich zur falschen Tür raus bin.»
«FRAG NICHT, ES IST EINFACH SO»
Wie bitte? Sie erklärt: Die Lagerhalle habe zwei Eingänge fürs Personal, einen hinten und einen vorne – neben dem Eingang zum Shop, wo auch die Kundschaft verkehrt. «Wir einfache Arbeiterinnen dürfen nur den Hintereingang benutzen.» Frick wollte von ihrem Chef wissen, warum das so sei. «Er sagte: Andrea, frag nicht, es ist einfach so.»
Unia-Mann Holger Bertsch spricht fast täglich mit Logistikerinnen und Logistikern und sagt: «Wenn nicht bald etwas passiert, droht den Menschen in der Branche eine Abwärtsspirale.» Um dies zu stoppen, brauche es dringend verbindliche Standards. «Zum Beispiel in der Form eines Gesamtarbeitsvertrags für den ganzen Internethandel.»
* Namen geändert
Faire Löhne in der Modebranche?
Kein Thema
PREKÄR: Näherinnen verdienen praktisch nichts. (Foto: Public Eye)
Drei von zehn Kleidungsstücken werden in der Schweiz heute im Internet gekauft. Ein neuer Bericht der Organisation Public Eye zeigt jetzt: Um die Löhne der Näherinnen, Logistikerinnen und Päcklifahrer kümmern sich die meisten Internetfirmen gar nicht. Public Eye nahm zehn der in der Schweiz bekanntesten Online-Modehändler unter die Lupe, darunter Zalando, Amazon, Galaxus (siehe Text oben), About You und Alibaba. Das Resultat ist niederschmetternd: Bei keinem der Onlinehändler fanden sich Hinweise, dass auch nur ein Teil der Näherinnen einen Lohn erhält, der eine Familie ernährt. Einzig der britische Onlineshop Asos erwähnt existenzsichernde Löhne in mehreren Dokumenten – allerdings, so der Bericht, nur «als vages Ziel für die Zukunft». Bei allen anderen gibt’s nicht einmal das. David Hachfeld, Autor des Berichts: «Entweder ist bei den Firmen kein Bewusstsein für das Risiko Armutslöhne vorhanden – oder diese Menschenrechtsverletzung wird ganz bewusst in Kauf genommen.»
Galaxus ist laut dem Bericht nicht besser als die Konkurrenz aus dem Ausland.
BLINDER FLECK. Keinen Deut besser steht es um die eigene Logistik der Lieferfirmen. Bei keiner einzigen fand Hachfeld Informationen dazu, ob Logistikerinnen oder Päcklifahrer sichere und nichtprekäre Arbeitsverhältnisse haben. Den Befund bestätigt ein Interview mit Anne Rubin und Roman Künzler von der Unia, das im Bericht enthalten ist. Sie bezeichnen die Logistik als «die neue Domäne der unterbezahlten und ultraflexiblen Arbeitnehmenden, die kaum Einkommensgarantien haben und enormem Stress und Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind». Und Galaxus, der einzige Schweizer Anbieter im Public-Eye-Bericht? Ist nicht besser als die ausländische Konkurrenz. Nur für die Migros-Eigenmarken im Sortiment gibt es genaue Angaben darüber, wo die Kleider hergestellt werden – für alle anderen Marken nicht. Und zur Vernichtung von zurückgeschickten Kleidern – ein oft kritisierter Missstand in der Branche – gibt es bei Galaxus gar keine Informationen, während andere Anbieter öffentlich versprechen, keine Kleider zu vernichten. Das Fazit des Berichts zum Schweizer Internetriesen: «Wir sehen bei Galaxus grossen Nachholbedarf.»