Jean Ziegler. (Foto: Jean Revillard)
Der französische Revolutionär Jean-Paul Marat veröffentlichte in «L’Ami du peuple» am 26. Juli 1790 seinen berühmten Artikel mit dem Titel: «Wahre Mittel, damit das Volk glücklich und frei ist». Marat schreibt: «Der erste Schlag, den die Fürsten (d. h. die Machthaber) der Freiheit versetzen, besteht nicht darin, dreist die Gesetze zu verletzen, sondern sie in Vergessenheit geraten zu lassen … Um die Völker in Ketten zu legen, schläfern sie sie ein.»
Das Einschläfern der Völker durch die Herrschaftsklassen heisst bei Karl Marx «Entfremdung». Die gezielte Entfremdung des Kollektiv-Bewusstseins ist die stärkste Waffe der Machthaber. Sie funktioniert in den ältesten Demokratien. So auch in der Schweiz.
SCHAFE. Das freie Volk der Schweizerinnen und Schweizer stimmt meist – geheim, universell und frei – gegen seine eigenen Interessen. Nehmen wir die Beispiele der eidgenössischen Volksbegehren der letzten drei Jahre. In diesem Zeitraum stimmten die Schweizer freiwillig im geheimen Urnengang gegen die Einführung eines Mindestlohnes, gegen eine Begrenzung der Manager-Gehälter, gegen eine staatliche Krankenversicherung, gegen eine zusätzliche Ferienwoche, gegen eine Erhöhung der AHV-Renten, gegen das Verbot der Börsenspekulation auf Grundnahrungsmittel (die den Hunger auf der Welt fördert).
Wie blökende Schafe gehorchen die Schweizer Bürgerinnen und Bürger den Diktaten ihrer Oligarchen. Die Eidgenossenschaft liefert heute das Musterbeispiel einer simulativen Demokratie.
REVOLUTIONÄRE GEDULD. Jean-Paul Sartre fordert: «Connaître l’ennemi, combattre l’ennemi» (den Feind erkennen, den Feind bekämpfen). Vor zwanzig Jahren gründeten der unvergessliche André Daguet und Andreas Rieger die Zeitung work. Sie übertrugen die Chefredaktion Marie-Josée Kuhn. Seither produziert Marie-Josée zusammen mit ausgezeichneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern alle vierzehn Tage eine Zeitung, die in beispielhafter Kompetenz gegen die Entfremdung und für die Befreiung des Kollektiv-Bewusstseins unserer arbeitenden Bevölkerung kämpft.
Marie-Josée – ihrem flammenden Talent, ihrer Unbeirrbarkeit, ihrer revolutionären Geduld, ihrem Mut und ihrer Lebensfreude – gehören unsere tiefe Dankbarkeit und Bewunderung.