Natalie Imboden. (Foto: Keystone)
Ich verbinde Marie-Josée Kuhn direkt mit der Zeitung work, deren Gründung ein Meilenstein für die Gewerkschaften, die neu gegründete Unia und ihre Art zu kommunizieren war. Kühn und unerschrocken sind seither ihre Interviews, Artikel und Kommentare, so zum Start 2001 über den «Minister zur Misere», Bundesrat Pascal Couchepin. Ich erinnere mich an unzählige Berichte: In der Analyse immer träf und auch provokant, klar anwaltschaftlich für die «kleinen Leute», dabei stets pointiert und feministisch. Bei ihr spielen nicht die Berühmten und Etablierten die erste Rolle, sondern sie stellte auch immer die Büezerinnen, streikende Frauen, die Lohnkontrolleurin, die Verkäuferin, die Pflegefachfrau, aber auch die Arbeit zu Hause oder auch Fussballspielerinnen ins Zentrum und auf die Titelseite!
Meine erste persönliche Erinnerung stammt aus dem Jahr 2006 anlässlich eines Interviews zum Stand der Gleichstellung drei Jahre nach der grossen Protestdemo im Dezember 2003. Damals trieb die Wahl von Christoph Blocher und Hans-Rudolf Merz 15’000 Frauen und Männer auf die Strasse («Sie haben doch tatsächlich die Gleichstellung eingefroren», so work am 19. Oktober 2006). Dabei habe ich gemerkt, wie sie Persönliches und Politisches verknüpft, ganz in feministischer Tradition.
Ganz in feministischer Tradition verknüpft sie Persönliches und Politisches.
WORTMÄCHTIG. Marie-Josée Kuhn hat gewerkschaftsintern Themen gesetzt, so mit Extranummern beispielsweise zum Thema Saisonniers, zusammen mit einer Ausstellung, oder zu 50 Jahren Frauenstimmrecht mit dem Frauen-Bilder-Lesebuch. Sie konnte Historisches und Personen aus der Arbeiterinnengeschichte mit der aktuellen Politik verknüpfen. Sie hat die Gewerkschafterinnen der ersten Stunde erlebbar gemacht und ihre Bedeutung für heute aufgezeigt. Und sie hat mit ihrer Wortmächtigkeit unzählige feministische Kämpfe unterstützt und begleitet. An vorderster Front den grossen Frauenstreik 2019. So erinnere ich mich an unzählige Kundgebungen in der Stadt Bern, wo Marie-Josée Kuhn dabei war, immer mit der inhaltlich passenden Ausgabe der work-Zeitung in der Hand zum Verteilen.
KÜHN UND COOL. Dabei ist sie selber Pionierin. Denn die Chefredaktorinnen im Bereich Wirtschaft und Politik sind in der Schweiz nach wie vor rar. 2014 hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) schweizweit ganze drei Chefredaktorinnen gezählt und interviewt. Wen wundert es, dass das Seco dabei kein Interview mit der work-Chefin gemacht hat? So kühn wie cool ist nämlich sonst keine wie die Kuhn! Sie ist selber eine der «Superfrauen», wie 2009 der work-Titel zu streikenden Verkäuferinnen lautete. Und work wäre nicht work, wenn nicht nach einer Chefredaktorin wieder eine Chefredaktorin folgen würde. Gut gemacht, liebe Vorkämpferin* – viva Marie-Josée!
* «Die Vorkämpferin» lautete der Titel der 1906 von Margarethe Faas-Hardegger
gegründeten Zeitung. Faas-Hardegger war die erste Gewerkschaftssekretärin
im Schweizerischen Gewerkschaftsbund.