Grosse Freude beim Linksbündnis Nupes: Die französische Linke ist auferstanden! Doch der angeschlagene Präsident kungelt jetzt mit den Rechtsextremen.
Rachel Kéké hatte den langen Streik der afrikanischen Zimmerfrauen gegen Hungerlöhne, Arbeitshetze und sexuelle Belästigungen im Pariser Hotel Ibis Batignolles angeführt. Tanzend und singend hatten sie dem Hotelkonzern nach 22 Monaten starke Verbesserungen abgerungen (work berichtete). Jetzt zieht die Zimmerfrau, Mutter von fünf Kindern und Gewerkschafterin in den Bourbonen-Palast ein: Am 19. Juni wurde Rachel Kéké für das links-ökologische Bündnis Nupes ins französische Parlament gewählt.
«Ich bin die Stimme derer ohne Stimme.»
EIN ERDBEBEN
Die 48jährige hat schon einiges hinter sich. 1999 war sie vor dem Militärputsch in der Elfenbeinküste geflohen, hatte in besetzten Häusern überlebt und als Altenpflegerin, Coiffeuse und Kassierin gejobbt. Wortgewaltig will Madame la députée nun den Rassisten in der französischen Nationalversammlung Zunder geben: «Ich bin eine Kriegerin, ich bin die Stimme derer ohne Stimme.»
Die Kékés dieser Welt sind alles, was Präsident Emmanuel Macron verachtet – und fürchtet. Gegen die Kéké hatte er seine frühere Sportministerin in den Wahlkampf geschickt. Die sollte einen «republikanischen Schutzwall» errichten. Denn schliesslich ist Kéké links, schwarz, vielleicht sogar Muslimin (niemand hat sie gefragt) und auf jeden Fall eine Proletin. Proletinnen, so denken die Pariser Eliten, gehören nicht ins Parlament. Doch Kéké siegte.
Mit ihr wurden von den insgesamt 577 Abgeordneten rund 150 Frauen und Männer der «Neuen ökologischen und sozialen Volksunion» (Nupes) gewählt. Ein Erdbeben. «Wir sind da!» sangen sie, als sie gemeinsam den Palast betraten. Es ist die Hymne der Gelben Westen, der Rebellen von 2018.
VORBEI MIT MACRONS MONARCHIE
Präsident Macron aber verlor fast die Hälfte seiner Abgeordneten, darunter den Parlamentspräsidenten, den Fraktionschef und drei Ministerinnen. Jean-Michel Blanquer, sein Chef-Einheizer gegen links, war schon im ersten Wahlgang gescheitert (Macron hat ihm jetzt extra eine Professur geschaffen). Das Debakel erwischte den Präsidenten kalt. Er war sich sicher, wieder eine absolute Mehrheit zu bekommen. Doch die meisten Französinnen und Franzosen haben längst die Nase voll von Sozialabbau und einer Politik, die zur astronomischen Bereicherung der französischen Oberschicht geführt hat.
Für seine neoliberalen «Reformen» muss Macron künftig mindestens 43 Stimmen von anderen Parteien holen. Vorbei die Monarchie mit einem Parlament voller abnickender Höflinge. Jetzt wird wieder debattiert und Politik gemacht. So hatte es Macrons Gegenspieler Jean-Luc Mélenchon von der Nupes versprochen – dies zumindest hat die Linke vollbracht.
Doch eigentlich wollte sie mehr. Ziel der Nupes war es, stärkste Kraft zu werden, um Mélenchon zum Regierungschef zu machen, als Gegenkraft zum mächtigen Präsidenten. Dies scheiterte am bizarren Wahlsystem. Und an der Wahlenthaltung: 6 von 10 Französinnen und Franzosen gingen erst gar nicht zur Urne oder legten leer ein. Dafür hatte Macron gesorgt. Er weiss, dass er gegen die Mehrheit der Bevölkerung regiert. Zu seinem Selbstverständnis aber gehört, ganz allein den richtigen Weg zu kennen, und der geht über die autoritäre Verschärfung des Kapitalismus. Notfalls muss das Volk zu seinem Unglück gezwungen werden. Knapp gesagt: Wählt, wie ihr wollt, ich mache dann doch, was ich will. Und passt es euch nicht, schicke ich die Gendarmen.
LE PEN IM ANMARSCH
Nupes-Frau Aurélie Trouvé, die das interne Parlament der Linken präsidiert, hat work erzählt, wie schwierig es gewesen sei, die Menschen zum Abstimmen zu mobilisieren (das Interview hier: rebrand.ly/trouve). In ihrem Département Seine-Saint-Denis gelang es. Dort holte die Nupes 12 der 12 möglichen Sitze. Trouvé selbst wurde mit grossem Vorsprung gewählt. Sie freut sich sehr, stellt sich aber auf brutalen Streit ein. Nicht nur, weil Macron die (braven) Nupes-Leute in Inszenierungen à la Donald Trump zu «Feinden der Republik» stempelt, die den Untergang Frankreichs im Sinne führten. Sondern vor allem, weil der Präsident seit fünf Jahren die Rechtsextremen vom Rassemblement national (RN) um Marine Le Pen banalisiert und fördert. Resultat: Die können jetzt mit 89 Abgeordneten ihre rassistische und antisoziale Agitation via Parlament unters Volk bringen.
Am meisten überrascht von den vielen Sitzen war Le Pen selbst. Sie hatte nur einen sehr lauen Wahlkampf geführt. Doch plötzlich verfügen die Ultrarechten über 350 vom Staat bezahlte Assistentinnen und Assistenten, Kommissionspräsidien, Blockademöglichkeiten, Medienpräsenz. Und massig Geld, Le Pen wird die Kredite zurückbezahlen können, mit denen der russische Herrscher Putin die Neofaschisten über Wasser gehalten hatte. Macron schickte sofort den Justizminister vor, um mit Le Pen künftige Mehrheiten zu sondieren. Die RN-Führerin fasst derweil 2027 ins Auge. Dann will sie allein alle Macht übernehmen.