Seit zwei Jahren strampelt Michele Z. (28) für Uber Eats. Jetzt packt er aus:
«Ein Fluch, wenn du davon leben musst»

Anfänglich reizte Michele Z.* die Flexibilität und Freiheit als Kurier für den Lieferdienst Uber Eats. Heute bezeichnet er seinen Job als krasse Form der Abhängigkeit.

Uber-Eats-Fahrer Michele Z.: «Ob ich überhaupt einen Auftrag kriege – wann genau, für wen und wie viel ich dafür bekomme –, das alles wird von Uber Eats festgelegt.» (Foto: Klaus Petrus)

Eine App, ein Klick, eine Pizza: Essen auf Bestellung ist seit Jahren angesagt. Und mit Corona haben Food-Lieferdienste noch einmal zugelegt. Die Firma «Just Eat» etwa, Nummer 1 in der Schweiz, hat voriges Jahr ihren Umsatz verdoppelt. Tatsächlich sind sie kaum noch aus dem Stadtbild wegzudenken, die Kurierinnen und Kuriere mit ihren auffallenden Jacken und Rucksäcken. Und man fragt sich unweigerlich: Ist das der «easy Job» für junge Leute, die gern in der Gegend rumkurven, oder ist es Ausbeutung?

Kurier Michele Z. sagt klar: «Das Fahren ist ein Fluch, wenn du davon leben musst.» Der 28jährige aus Zürich arbeitet seit zwei Jahren für Uber Eats, ein Tochterunternehmen des multinationalen Konzerns Uber.

«Unter dem Strich bleiben mir vielleicht 12 Franken die Stunde.»

KRASSE ABHÄNGIGKEIT

Uber Eats tritt in Zürich seinen Mitarbeitenden gegenüber noch immer nur als «Partner» auf, nicht aber als Arbeitgeber (siehe Artikel rechts). Die Arbeit der Kurierinnen und Kuriere wird nicht im Stundenlohn vergütet, sondern pro Lieferung. So bekommen Uber-Eats-Kuriere 4 Franken pro Auftrag, 1.50 Franken pro Kilometer und nochmals so viel pro Ablieferung. Das Unternehmen gibt an, man könne während der Essenszeiten im Schnitt auf einen Stundenlohn von 21 Franken kommen.

Michele Z. sagt dazu: «Höchstens auf dem Papier und auch nur, wenn du permanent dran bist.» Weil er in diesem Arrangement als Selbständiger tätig ist, zahlt ihm Uber Eats entsprechend keine Sozialversicherung und auch keine Ferienzulage, er hat bloss eine minimale Unfallversicherung, und die Reparaturen am Velo oder am Auto werden ihm nicht vergütet. «Unter dem Strich bleiben mir vielleicht 12 Franken die Stunde, wenn ich Glück habe, mal 15 Franken.»

Michele Z. ist ein «Gig worker», einer, der auf Abruf kurze Arbeitseinsätze macht. Die ganze Branche wird als Gig Economy oder Plattformwirtschaft bezeichnet und ist weltweit massiv am Wachsen. Eine Befragung von der Agentur McKinsey hat ergeben, dass etwa ein Drittel der US-amerikanischen Arbeiterschaft selbständig ist und davon inzwischen mehr als die Hälfte von Minijobs lebt – vor zehn Jahren war es knapp ein Fünftel. Dazu zählen typischerweise Kurierdienste, aber auch Reinigungs- und Betreuungsarbeiten, Einsätze in Kantinen und Restaurants sowie Arbeiten vom Computer aus wie Übersetzungen oder IT-Dienstleistungen.
Weil es sich um Kurzeinsätze handelt, gehen die meisten «Gig workers» mehreren Jobs nach.

So auch Michele Z. Er arbeitet zusätzlich 25 Prozent bei einer Firma, wo er für IT verantwortlich ist, sowie in einer Bar. Diese musste allerdings schon im ersten Corona-Lockdown schliessen. Und so schwang sich Michele Z. öfter aufs Velo und lieferte für Uber Eats Essen aus. «Da merkte ich: Ich kann strampeln, wie ich will, auf einen grünen Zweig komme ich nicht.»

Seit Jahren kritisieren die Gewerkschaften, dass Arbeit auf Abruf gesetzlich unzureichend reguliert sei. Das führt unter anderem dazu, dass Firmen ihre Mitarbeitenden allein für die Dauer der Arbeit bezahlen. Auch Michele Z. musste zwischen den Aufträgen oft warten, Geld bekam er dafür aber keines. Er bezeichnet sein Arbeitsverhältnis als «Scheinselbständigkeit». Anfänglich habe er die Flexibilität, die Unabhängigkeit und das Unkomplizierte an dieser Arbeit geschätzt: «In Wahrheit ist das aber eine krasse Form der Abhängigkeit: Ob ich überhaupt einen Auftrag kriege – wann genau, für wen und wie viel ich dafür bekomme –, das alles wird von Uber Eats festgelegt.»

STÄNDIGE BEWERTUNG

Marisol Keller, die an der Universität Zürich über Gig Economy forscht, sieht in diesem Machtverhältnis eines der zentralen Merkmale von Minijobs. «Die Abhängigkeit gerade von Plattformen ist umso problematischer, als diese oft gar nicht Arbeitgeber sind, sondern nur als Vermittler auftreten – was zudem vielen, die diese Arbeit in Anspruch nehmen, gar nicht bewusst ist.» Keller macht noch auf ­einen anderen Aspekt der Abhängigkeit aufmerksam. «Gerade wenn man in die Gig Economy einsteigt, muss man sich erst eine Reputation aufbauen, da man auf diesen Plattformen ständig bewertet wird: Habe ich schnell genug geliefert, gut genug geputzt, war ich freundlich genug? Das kann bei den Arbeitenden zu grossem Stress führen.»

Michele Z. will sich das nicht weiter antun, er sucht nach einem anderen Job. «So cool diese Arbeit ohne Chef und feste Zeiten aussehen mag: es ist alles andere als ein Zuckerschlecken.»

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