Viele Baufirmen pfeifen auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden – sogar bei Rekordhitze. Das zeigt eine Umfrage aus der Waadt. Und ein Baustop in Genf zeigt, wo das Problem liegt.
ABKÜHLUNG: Mehr als 40 Prozent der Bauleute, die an einer Unia-Umfrage teilnahmen, hatten auf ihrer Baustelle kein Trinkwasser. (Foto: Keystone)
Heiss, heisser, 2022: Schon wieder bricht ein Sommer Hitzerekord um Hitzerekord. Erdrückend war bereits der Juni. Nun zeigt die Juli-Bilanz: Auch der siebte Monat liess die Temperaturen in ungekannte Höhen schnellen. In Lugano etwa war es im Monatsmittel so warm wie normalerweise in Sardinien. Und in Genf war es im Schnitt sogar heisser als üblicherweise in Barcelona. Das neue Klima bringt besonders die Baubüezerinnen und Baubüezer ans Limit. Aber nicht nur, weil Hausdächer, Fassaden und Strassen extrem sonnenexponiert sind. Sondern auch, weil der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) sich bislang gegen einheitliche, klare und verbindliche Schlechtwetter- und Hitzeregeln sträubt. Mit Folgen!
Marius Käch, Maurer in Zürich, sagt: «Bei extremer Hitze macht dein Körper deutlich früher schlapp, und die Konzentration lässt nach. Stresslevel und Risiko steigen dafür.» Und klimatisch werde es ja leider «nur noch verreckter». Daher ist für Käch klar: «So kann es nicht weitergehen! Wir brauchen endlich mehr Schutz und klare Regeln.»
Bei praller Sonne mussten die Arbeiter 170 Grad heissen Asphalt verteilen.
EINFACHSTE PFLICHT MISSACHTET
Wie prekär es auf Schweizer Baustellen zu- und hergeht, zeigt eine Untersuchung aus der Waadt. Dort hat die Unia Ende Juli etliche Bauplätze im Kanton abgeklappert und über 600 Bauleute befragt. Im Zentrum stand die Frage: «Welche Massnahmen hat dein Arbeitgeber getroffen, um deine Gesundheit und Sicherheit während der Hitzeperiode sicherzustellen?»
Das Resultat lässt Unia-Bausekretär Sébastien Genton noch heute nicht los: «Es ist schockierend! Die meisten Bauleute werden schlicht im Stich gelassen und faktisch gezwungen, die Mordshitze einfach auszuhalten.» Oft komme der Arbeitgeber nicht einmal den einfachsten Pflichten nach. Konkret ergab die Umfrage:
- Mehr als 40 Prozent der Befragten hatten auf ihrer Baustelle kein Trinkwasser oder ausreichende Wasserversorgung.
- Weniger als 20 Prozent der Befragten durften häufiger und regelmässig Pausen einlegen. Dabei sind die Hitzeempfehlungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) unmissverständlich: Firmen sollen pro Arbeitsstunde eine bezahlte «Zusatzpause» von 10 Minuten gewähren – und zwar an einem «kühlen und schattigen Ort».
- Nur 20 Prozent der Befragten profitierten von angepassten Arbeitszeiten, etwa einem vorverschobenen Arbeitsbeginn. Dabei könnte man so schon am frühen Nachmittag Feierabend machen und die Hitzespitzen und Ozon-Höchstwerte ab 14 Uhr umgehen.
- Nur 8 Prozent der Baustellen wurden während der Hitzewelle geschlossen.
Besonders der letzte Punkt gibt Unia-Mann Genton zu denken. Denn gerade die Waadtländer Baubranche hat eigentlich eine schweizweit einmalige Lösung.
HITZEFONDS GENÜGT NICHT
Bei Hitze kann die Arbeit ab 13 Uhr eingestellt werden. Und ein Fonds zahlt die vollen Löhne der Arbeiter. Dies im Gegensatz zur Schlechtwetterentschädigung der Arbeitslosenkasse, die nur 80 Prozent übernimmt und zudem Karenztage kennt. Erschaffen haben das Waadtländer Modell die Gewerkschaften zusammen mit den Baumeistern im Jahr 2019. Wie sich jetzt zeigt, genügt es noch nicht: 92 Prozent der Baustellen liefen weiter – trotz brachialer Hitzewelle. Das liegt zum einen daran, dass vom Hitzefonds nur Mitgliederfirmen des Baumeisterverbands profitieren. Doch das noch grössere Problem sieht Genton in zu knapp berechneten Terminen: «Besonders Generalunternehmer und Bauherren setzen extrem knappe Fristen – und damit die Gesundheit der Arbeitenden aufs Spiel.» Der Gewerkschafter kritisiert aber auch Firmen, die dieses Spiel mitmachen. Schliesslich würden sie damit den Druck von oben einfach auf die Bauleute abwälzen. Daher brauche es Interventionen der Gewerkschaft – wie Ende Juli in Genf.
ASPHALTIEREN IM KLIMADESASTER
Auch dort machte ein Unia-Bauteam Kontrollrundgänge. Über sechzig Baustellen besuchte es innert weniger Tage. Das Resultat: dreissig Anzeigen zuhanden des Arbeitsinspektorats! Dies wegen fehlender Pausen, fehlenden Trinkwassers und fehlender Pausenräume im Kühlen. Besonders drastisch war die Situation auf der Strassenbaustelle an der Avenue Pictet-de-Rochemont, einer Hauptverkehrsachse der Stadt Genf.
Am 2. August war es dort noch heisser als im Rest der Stadt, für die der Bund bereits zum dritten Mal in Folge die zweithöchste Hitzewarnung erlassen hatte. Trotzdem wurde mitten am Tag gearbeitet. Helena Verissimo de Freitas, Vize-Regioleiterin der Unia Genf, sagt: «Sämtliche Arbeiter mussten in der prallen Sonne Asphalt verteilen, der 170 Grad heiss aus dem Koch-Laster kam!» Sofort reklamierte die Gewerkschafterin beim Kanton. Dieser war schliesslich Auftraggeber. Kein vorbildlicher, wie Verissimo de Freitas kritisiert: «Der Kanton wollte seine Baustellen unbedingt noch vor dem Ende der Schulferien fertigstellen und setzte die Baufirmen unter Druck, die ihrerseits die nötigen Schutzmassnahmen aussetzten.» Diese «skandalöse» Weitergabe des Termindrucks müsse «sofort aufhören», forderte die Unia-Frau öffentlich. Das nützte sofort; die paritätische Kommission befahl: zwei Halbtage «hitzefrei» für die Strassenbauer der Avenue Pictet-de-Rochemont. Na also!
Klimawandel: Hitzetote in Europa
Ein gleiches Hitzelimit für die Arbeit in der EU: das fordert der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) nach tragischen Hitzschlägen in Madrid. Ende Juli waren dort innert weniger Tage ein Strassenreiniger, ein Lagerist und ein Flugblattverteiler bei der Arbeit gestorben. Landesweit forderten die Extremtemperaturen allein im Juli 2200 Menschenleben. Hitzeschutzgesetze und Maximalarbeitstemperaturen gibt es laut EGB in erst 6 EU-Ländern.