Auf dem Bielersee ist Matrosin Carole Mischler Lassowerferin, Malerin und Fremdenführerin in einem. Seit kurzem darf sie sogar ans Steuer.
AUF DECK: Matrosin Carole Mischler (27) kennt die beste Seilwurf-Technik, um auch bei starkem Jurawind sicher anzudocken. (Fotos: Matthias Luggen)
Das Seil aufrollen und mit beiden Händen halten. Dann von der Seite so werfen, dass es einen grossen Halbkreis bildet: Das sei die beste Technik, um das Seil über den Pfosten zu bringen und das Schiff am Steg anzudocken, sagt Carole Mischler, Matrosin auf dem Bielersee. Das klappe fast immer, sagt die 27jährige. «Aber wenn einer sagt, ihm sei noch nie das Seil ins Wasser gefallen, dann lügt er.»
So ein Missgeschick sei auch nicht schlimm. Ausser bei starkem Wind. Wenn in Biel der Joran vom Jura herunterblase oder in Erlach der Westwind das Schiff vom Land wegdrücke, «dann musst du treffen». Und wenn nicht? Sie lehnt sich zurück und lacht: «Dann musst du sehr schnell sein, um eine zweite Chance zu haben. Oder improvisieren.»
Sie sitzt auf dem Achterdeck des «Mobicat» und blickt auf den Bielersee. Der Solar-Katamaran wurde für die Expo 02 gebaut und fährt immer noch. An diesem Nachmittag Ende August liegt er im Bieler Hafen. Kein schlechter Ort für das Interview.
LEICHTMATROSIN. Wie wird frau Matrosin? Bei der Bielersee-Schifffahrtsgesellschaft sei ein Handwerksberuf Voraussetzung, klärt Mischler auf. Sie selbst ist gelernte Malerin und wechselte vor fünf Jahren aufs Schiffsdeck.
Nach 15 Tagen Ausbildung und einer Prüfung fing sie als Leichtmatrosin an: «Da musst du für die Leute da sein, die Billette kontrollieren und beim Anlegen das Schiff festmachen.» Nach einer Saison machte sie die Weiterbildung und Prüfung zur Matrosin. «Jetzt habe ich mehr Verantwortung. Vor allem, dass das Schiff ganz und alle Fahrgäste gesund heimkommen.» Auf den grösseren Schiffen seien jeweils drei Personen im Einsatz, eine am Steuer und zwei auf Deck. Auf den kleinen Schiffen nur die Schiffsführerin und ein Matrose.
Schiffsführerin? Sicher. Von den 23 festangestellten nautischen Mitarbeitenden der Gesellschaft dürfen zwei Frauen und dreizehn Männer ein Schiff steuern, dazu kommen drei Matrosinnen und fünf Matrosen. Noch. Denn, so Mischler: «Das Ziel der Firma ist es, dass alle, die wollen und können, die Ausbildung zum Schiffsführer machen.» Und dann strahlt sie und sagt, eine der zwei Schiffsführerinnen sei übrigens sie.
FRISCH AM STEUER. Wie jetzt? «Vorgestern habe ich die praktische Prüfung bestanden und heute zum ersten Mal ein Schiff alleine gesteuert.» Hoppla. Und? «Alles gut gegangen.»
Aller Coolness zum Trotz schwingt jetzt auch Stolz in ihrer Stimme mit. Ja, Schiffe faszinierten sie, sagt sie: «So ein grosses Stück Metall – dass das überhaupt schwimmt!» Am Steuer sei sie halt noch ein Neuling, deshalb wolle sie lieber über die Arbeit als Matrosin sprechen. Die sie auch weiterhin mache: «Da wir mehr Schiffsführerinnen und -führer sind als nötig, arbeiten die meisten zwischendurch wieder an Deck. Das gibt Abwechslung.»
Nicht, dass es auf den drei Seen und der Aare zwischen Solothurn und Murten langweilig wäre. Da gibt es die heissen Sommertage, an denen Scharen von Ausflüglern und Touristinnen aufs Schiff drängen. Das habe sie gern, sagt Mischler: «Das unterscheidet das Schiff vom Zug. Eine Fahrt bei uns ist ein Erlebnis.» Oft werde sie auch nach Sehenswürdigkeiten gefragt, die vom See aus zu sehen seien. Bescheid zu wissen ist Teil ihres Pflichtenhefts.
WIND UND WETTER. Ganz anders die Regentage. Wenn auf dem Schiff wenig los ist, kann die Matrosin die Stimmung auf dem Wasser auf sich wirken lassen – oder einfach hinsitzen und einen Kaffee trinken. Und dann gebe es noch richtig mieses Wetter: «Wenn es von morgens bis abends nur schifft oder im November, wenn es einfach nur kalt ist: dann willst du irgendwann nur noch heim.» Aber das seien wenige Tage im Jahr. Meistens sei sie gern draussen. «Sonst wäre ich im falschen Beruf.» Dass es der richtige ist, bezeugt auch das Anker-Tattoo auf dem rechten Unterarm.
Und wie war der Rekordsommer 2022? «Warm», sagt Mischler. Und meint: meistens zu heiss. «Siehst du meine schicke, lange Uniformhose? Aus dickem, dunkelblauem Stoff? So bis 30 Grad geht das. Wenn’s heisser wird, bist du bis am Abend kaputt.»
Dann kommt der Herbstfahrplan, im Winter gibt’s nur noch ein paar Extrafahrten. Die Schiffsführerinnen und Matrosen bleiben bei ihren Schiffen – und wechseln von der Uniform ins Übergwändli. Zum Beruf, den sie ursprünglich gelernt haben: Mechanikerin, Schreiner, Elektrikerin, Sanitär – oder eben Malerin wie Carole Mischler. Und sorgen dafür, dass die Schiffe im Frühling wieder flott sind. Das sei, sagt Mischler mit Überzeugung, ein grosser Vorteil. «Bis im Oktober habe ich genug Leute gesehen und will meine Ruhe haben.» Und wenn der Winter zu Ende gehe, freue sie sich wieder auf den See. «Und ich glaube, der See vermisst uns auch.»
Carole Mischler Vom Jura an den See
Aufgewachsen ist Carole Mischler im Kanton Jura. Und hatte nie den Plan, Matrosin zu werden. Mit 18 Jahren zog sie ins Seeland und arbeitete in einem Restaurant, um Deutsch zu lernen. Eigentlich wollte sie nur ein Jahr bleiben. Jetzt lebt sie schon bald zehn Jahre in der Region und sagt: «Ich habe hier meinen Platz gefunden.»
FAMILIE. Als Matrosin und Schiffsführer-Anwärterin verdient sie derzeit 5900 Franken brutto im Monat – «genau gleich viel wie die Männer». Im Dezember wird sie zur Schiffsführerin befördert, dann werden es 6050 Franken sein. Sie arbeitet 42 Stunden pro Woche, allerdings im Sommer verteilt auf sechs Tage. So hat sie manchmal bereits um 14 oder 15 Uhr Feierabend, was ihr passt: «Dann geniesse ich den Nachmittag.» In der Freizeit trifft sie Kolleginnen und Kollegen oder besucht ihre Familie im Jura. Als Malerin war sie Unia-Mitglied, jetzt ist sie bei der Verkehrsgewerkschaft SEV.
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