Andreas Rieger
Den Menschen in Europa geht’s ans Lebendige. Die Lebenshaltungskosten steigen um 8 bis 10 Prozent in unseren Nachbarländern, gegen 20 Prozent im Baltikum. Ebensoviel verlieren Mindestlöhne an Wert, wenn sie nicht rasch genug angepasst wurden. Die Energiepreise gehen gar durch die Decke, sie verdoppeln oder verdreifachen sich. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat ausgerechnet, dass Durchschnittsverdienende in vielen Ländern jetzt mehr als einen Monatslohn für Energiekosten aufbringen müssen. Wer einen Mindestlohn bezieht in Ländern wie Griechenland, Tschechien oder den Niederlanden, bezahlt gar über zwei Monatslöhne! Der EGB fordert ein Paket von Massnahmen: sofortige Erhöhung der Effektiv- und der Mindestlöhne, Entlastungszahlungen für Haushalte und KMU, Preisdeckel für Energiekosten und eine Sondersteuer auf die Extraprofite der grossen Energiefirmen.
Energiewirtschaft – ein Spielball der Spekulation.
REGULIERUNG. Der EGB stellt die Energiewirtschaft auch grundsätzlich in Frage: Diese ist in der EU vollständig privatisiert und Spielball von Spekulation. Demgegenüber verlangt der EGB, dass die Energie zum öffentlichen Gut wird. Der Staat muss sie als Grundversorgung garantieren. Bereits jetzt greift die Politik in mehreren Ländern regulierend ein, auch mit Verstaatlichungen. So zum Beispiel beim Energiegiganten Uniper in Deutschland. Diese Politik darf aber nicht nur eine Rettungsübung in der Krise bleiben, sondern muss danach weitergeführt werden.
PROTESTE. Die EU-Kommission weiss, auf welch heissen Winter Europa zusteuert. Massenproteste sind vorprogrammiert. Die EU-Spitze ist deshalb zu unkonventionellen Massnahmen bereit: Sie schlägt eine Deckelung des Strompreises bei 180 Euro pro Megawattstunde vor. Auf dem Markt kostet diese 440 Euro. Die Differenz wird vom Staat eingezogen und an die bedürftigsten Haushalte und Betriebe rückverteilt. Die Kommission will auch Extraprofite von Shell, BP und Co. in der Grössenordnung von 140 Milliarden Euro anzapfen. Bereits haben fünf Länder solche Übergewinnsteuern beschlossen.
Die Neoliberalen von der NZZ und vom Think-Tank Avenir Suisse freuen sich überhaupt nicht über solche «Robin-Hood-Methoden». Für sie ist das nichts als Diebstahl. Die Betroffenen dagegen brauchen die Entlastung dringend.
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.