Wahlanalyse: Ungleichheit nährt rechte Parteien

Neue Studie zeigt: Werden die Reichen immer reicher und die Armen nochärmer, profitiert die radikale Rechte.

HERR ÜBER HERRLIBERG UND DIE SCHWEIZER RECHTE: SVP-Übervater Christoph Blocher ist ein Profiteur der wachsenden Ungleichheit. (FOTO: SCHWEIZER ILLUSTRIERTE)

Seit 1990 hat sich bei Wahlen der Stimmenanteil von radikalen Parteien europaweit mehr als verdoppelt. Dies auf Kosten der Parteien in der Mitte. Für diese Radikalisierung ist auch die Schweiz ein Beispiel, und zwar nach rechts: nämlich mit dem Aufstieg der SVP. Die Blocher-Partei feierte mit rechten und fremdenfeindlichen Parolen bis vor kurzem viele Wahlerfolge. Aber warum ist da so?

In den 2000ern legte die Rechte eindeutig zu.

Die wachsende Ungleichheit spielt eine Rolle. Dies zeigt eine Studie, welche die gewerkschaftsnahe Böckler-Stiftung publik gemacht hat.* Drei Politikwissenschafter untersuchten den Zusammenhang zwischen Ungleichheit, Wirtschaftslage und politischer Polarisierung. Dazu werteten sie 291 Parlamentswahlen in 20 Industriestaaten (darunter z. B. Deutschland und Frankreich, aber auch die USA und Australien) im Zeitraum von 1970 bis 2016 aus. Und kombinierten diese mit Wirtschafts- und Einkommensdaten. Sie kamen zu erstaunlichen Ergebnissen.

Nach der Definition der Forscher stehen linksradikale Parteien links von der Sozialdemokratie und rechtsradikale rechts von den konservativen Parteien. Auf die Schweiz ­gemünzt: rechts die SVP, die Schweizer Demokraten, die einstige Freiheitspartei, die Tessiner Lega und das Mouvement Citoyens aus Genf, und links die Partei der Arbeit, die früheren Progressiven Organisationen (Poch), die Alternative Linke aus Zürich und die Solidarités aus Genf.

Krisenhafte schweiz: Mehr Rezessionen als andere.

Interessant sind in der Studie über Ungleichheit und den Erfolg der ­rechten Parteien die vergleichenden Daten zur Wirtschaftslage. So erlitt die Schweiz in den letzten vierzig Jahren klar mehr Krisen und Rückschläge als andere Länder. Bei uns gab es seit den 1970er Jahren zehn Perioden mit stotternder Wirtschaft und steigenden Arbeitslosenzahlen.

FALSCHE POLITIK. Allein fünf davon in den 1990er Jahren, bedingt durch eine verfehlte Geldpolitik. Nur Dänemark war noch krisengeplagter als die Schweiz. Alle anderen 18 untersuchten Länder kamen besser weg. Namentlich das vielgescholtene Frankreich mit gerade mal vier Rezessionen oder auch Spanien mit nur deren sechs. (rh)

WENDEPUNKT

Eine schlechte Wirtschaftslage, so die Erkenntnis der Studie, wirkt sich tendenziell positiv auf den Stimmenanteil der Linken aus. Ebenso profitiert diese von der zunehmenden Globalisierung. Höhere Staatsausgaben stärken hingegen die politische Mitte. Was die Ungleichheit bei den Einkommen betrifft, so konnten die Forscher feststellen, dass bis ins Jahr 2000 eher die Linke profitierte. Nach der Jahrtausendwende erzielten jedoch die rechten Parteien eindeutig bessere Wahlergebnisse. Die Forscher sehen eine Verbindung zu den sinkenden Einkommen. Vor allem, wenn der ärmste Zehntel der Bevölkerung als Massstab für Ungleichheit genommen wird. So schreiben die Autoren: «Wenn der Einkommensanteil der Ärmsten sinkt, ist es die radikale Rechte, die bei Wahlen punktet.»

Dieser Wendepunkt von links nach rechts ist bereits viel diskutiert worden. Zuerst im Buch «Rückkehr nach Reims» des französischen Soziologen Didier Eribon. In diesem Schlüsseltext geht der Autor der Frage nach, wieso seine Eltern aus der Arbeiterklasse früher immer kommunistisch oder sozialistisch wählten, aber dann plötzlich nur noch Le Pen. Eribon sieht den Hauptgrund in einer neoliberal gewendeten Sozialdemokratie, die den Kontakt zu den Wenigverdienenden ­verloren hat. Die neue Studie gibt leider keine eigene Antwort auf das Phänomen. Sie konstatiert nur, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Erfolg der Rechten und der zunehmenden Ungleichheit sowie dem Absinken der ärmsten Schichten gibt.

Die Erkenntnis daraus ist jedoch denkbar einfach: Eine Politik, die nicht nur die Wohlhabenden begünstigt, sondern alle Menschen einbezieht und den zunehmend ungleich verteilten Reichtum ausgleicht, ist am ehesten geeignet, den Vormarsch der rechten und rechtsradikalen Parteien einzudämmen.

* Christian Proaño, Juan Carlos Peña, Thomas Saalfeld: Inequality, Macroeconomic Performance and Political Polarization. A Panel Analysis of 20 Advanced Democracies. Review of Social Economy, März 2022.
Die Studie ist in Englisch verfügbar (kostenpflichtig): rebrand.ly/rechte-wende

 

1 Kommentare

  1. Hubschmid 2. September 2022 um 18:00 Uhr

    Ihr, mit Eurer langweiligen Parteienarithmetik!
    Ist ganz einfach: Habe früher SP gewählt – dann nicht mehr! Und auch keine andere Partei – auch nicht die SVP. Dieses ganze Parteienkartell ist unwählBAR! Prost!

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