Die Gewerkschaften fordern Lohnerhöhungen von 4 bis 5 Prozent. Mehr als berechtigt, wie die Zahlen zeigen. Und dringend nötig, damit die Lohnabhängigen auch real mehr im Portemonnaie haben.
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Die Teuerung ist zurück. Und wie! Die Krankenkassenprämien steigen um bis zu 10 Prozent. Die Strom-, Gas- und Heizölpreise steigen und steigen (siehe Strompreis-Explosion ist kein Unfall). Gleichzeitig hat sich die Wirtschaft von der Coronakrise beeindruckend schnell erholt. Bei der grossen Mehrheit der Unternehmen laufen die Geschäfte gut bis sehr gut. Diese Eckpunkte zeigen klar: Es braucht den Teuerungsausgleich und eine zusätzliche reale Erhöhung der Löhne. Und: die Unternehmen können sich das leisten. Ihrem Gejammere zum Trotz. Denn sie haben in den vergangenen Jahren die von den Lohnabhängigen erarbeiteten Produktivitätsgewinne nicht oder nur höchst ungenügend weitergegeben.
Die Löhne nur an die Teuerung anpassen ist nicht genug.
EINE FRAGE DES ANSTANDES
Gewerkschaftsbundspräsident Pierre-Yves Maillard fordert die Anpassung der Löhne an die Realität der gestiegenen und auf den 1. Januar 2023 weiter steigenden Lebenshaltungskosten. Es sei «eine Frage des gesunden Menschenverstandes» und des «Anstandes» der Arbeitgeber.
Aber, so Maillard weiter: «Man hat von Arbeitgeberorganisationen Kritik an unseren Lohnforderungen gehört und den Hinweis, dass man in der Industrie vorsichtig sein müsse. Selbstverständlich, nichts gegen Vorsicht. Aber jetzt sind wir an der Reihe, zur Vorsicht aufzurufen. Sich gegen eine Anpassung der Löhne an die Lebenshaltungskosten sträuben, noch mehr Nacht- und Sonntagsarbeit fordern, um den Arbeitnehmenden die Last der Energiekrise aufzubürden, und gleichzeitig staatliche Beihilfen oder eine Rückkehr zu Monopolen und regulierten Preisen zu fordern, um die steigenden Energiekosten auszugleichen – das ist ein bisschen viel aufs Mal.»
Zum Verhalten der Arbeitgeber sei ihm ein alter neapolitanischer Freund eingefallen. Dieser habe jeweils «c’è limite!» gesagt, wenn in ihm die Empörung hochkochte. Das heisst frei übersetzt: «Es reicht!» beziehungsweise «Alles hat seine Grenzen!». Und, so der oberste Gewerkschafter zum Schluss seiner Rede an der Lohn-Medienkonferenz des SGB: «Da wir jedoch befürchten, dass unsere Appelle an den gesunden Menschenverstand und den Anstand nicht ausreichen werden, rufen wir die Stimmbevölkerung auf, am 25. September ihrerseits sehr laut «c’è limite!» zu sagen, mit einem ohrenbetäubenden dreimaligen Nein zur Erhöhung der Mehrwertsteuer, zur Senkung der Renten für Frauen und Ehepaare und zur Abschaffung der Verrechnungssteuer für reiche Obligationenbesitzer.»
HÖCHSTE ZEIT
Seit 2016 hinken die realen Löhne der Produktivität hinterher. Unia-Chefin Vania Alleva sagt dazu: «Es ist höchste Zeit, dass die breite Bevölkerung echte und spürbare Lohnerhöhungen erhält.» Und verdeutlicht: «Wenn wir von echten Lohnerhöhungen sprechen, dann sprechen wir von realen Lohnerhöhungen, die über die Teuerung hinweg reichen. Erreichen die Lohnerhöhungen nur das Niveau der Teuerung, haben die Arbeitnehmenden am Ende gleich viel in der Tasche. Gibt es weniger als die Teuerung, würden die Arbeitnehmenden sogar effektive Lohneinbussen erleiden.»
Konkret verlangt die Unia:
- Für das Baugewerbe den vollen Teuerungsausgleich plus eine reale Lohnerhöhung von einem Prozent. Bezogen auf einen Durchschnittslohn auf dem Bau, sind das rund 270 Franken im Monat.
- Für das Ausbaugewerbe den vollen Teuerungsausgleich plus eine reale Lohnerhöhung von einem Prozent cund zwar auf den Mindestlöhnen und den effektiven Löhnen.
- Für den Detailhandel den vollen Teuerungsausgleich plus 100 Franken generell für alle Angestellten des Detailhandels. Für langjährige Mitarbeitende ab 5 Dienstjahren zusätzlich 100 Franken. Auf den Durchschnittslohn im Detailhandel gerechnet, entsprechen diese Forderungen einer Lohnanpassung von 5 Prozent.
- Für die Coiffeurbranche den vollen Teuerungsausgleich und eine Lohnerhöhung im Sinne eines 13. Monatslohns.
- Für die Industrie den vollen Teuerungsausgleich plus ein Prozent Reallohnerhöhung.
- Für die Chemie- und Lebensmittelindustrie den vollen Teuerungsausgleich plus eine Reallohnerhöhung von einem Prozent.
Mega-Bschiss: Mietende zahlen Milliarden zu viel
Während die bürgerlichen Parteien den Hausbesitzern den Eigenmietwert schenken, ihnen aber weiterhin die Abzüge ermöglichen wollen, bleiben sie beim Milliardenbschiss an Mieterinnen seit Jahren untätig und setzen das geltende Recht nicht um (work berichtete mehrfach, zum Beispiel hier rebrand.ly/eigenmietwert). Zurzeit dürfte die Maximalrendite der Hausbesitzerinnen und -besitzer 3,25 Prozent betragen. Eine aktuelle Studie des Büros für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS, nachzulesen hier: rebrand.ly/bass-mieten) weist nach, dass die durchschnittliche Rendite der Immobilieneigentümer zwischen 2006 und 2021 aber bei 6,2 Prozent lag. Oder in Frankren ausgedrückt: In den vergangenen 15 Jahren haben Vermieterinnen und Vermieter insgesamt 78 Milliarden Franken zu viel kassiert. Allein 2021 bezahlten Mieter und Mieterinnen schweizweit 10 Milliarden Franken zu viel Miete – das macht pro Monat ein paar Hundert Franken. Mit zwei gleichen Vorstössen wollen SP-Nationalrätin Jacqueline Badran und SP-Nationalrat Carlo Sommaruga dem jetzt einen Riegel schieben. Sie werden dieser Tage (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe am 14. September) behandelt.