NIEDERLAGE: Das fortschrittliche Lager machte zu viele Fehler. Jetzt regiert die Rechte im Parlament. (Foto: Keystone)
Che disastro, welche Katastrophe. Im neuen italienischen Parlament verliert das fortschrittliche Lager haushoch. Aber noch schlimmer: Die Katastrophe ist selbst verschuldet.
Noch kein Jahr ist’s her, da siegten die Progressiven in vielen Regionalwahlen. Pragmatisch hatten sich der Partito Democratico (PD), die Cinque-Stelle-Bewegung (5 Stelle) und andere fortschrittliche Organisationen zusammengerauft.
Im Sommer spielten sie jedoch alle verrückt. Die 5 Stelle fuhren einmal mehr zickzack. Vor vier Jahren hatten sie als Protestpartei die Wahlen gewonnen. Darauf bildeten sie mit dem Rechtsextremen Salvini die Regierung, die aber bald zerfiel. Später wurden die 5 Stelle Teil der Grossen Koalition unter Mario Draghi. Ihre Wählerinnen und Wähler goutierten all dies jedoch nicht. Um sich wieder zu profilieren, entzogen die 5 Stelle im Juli Draghi das Vertrauen. Dies war ein taktischer Fehler. Die drei rechten Parteien nutzten den Moment, um ihrerseits die Regierung zu stürzen.
FEHLER AM LAUFMETER. Nun machte auch der PD-Parteichef Enrico Letta einen strategischen Fehler nach dem anderen. Er war mit Draghis Regierung wie verheiratet. Völlig ausser sich über das Manöver der 5 Stelle schwor er, mit diesen unzuverlässigen Partnern nie mehr zusammenzuarbeiten. Stattdessen suchte er ein Bündnis mit windigen Politikern der «Mitte», die erst zusagten und Letta danach im Regen stehen liessen.
Im Wahlkampf profilierten sich die 5 Stelle klar als soziale Kraft, welche für die Anliegen der kleinen Leute kämpfte. Dies fiel umso leichter, als sich der rechte Parteiflügel im Sommer abgespalten hatte. Letta dagegen wollte sich vor allem als demokratische und europäische Alternative zu den Rechtsaussen der Fratelli d’Italia profilieren. «Ich oder Meloni, Europa oder Orban.» Das ging völlig an den Problemen der Leute vorbei, die sich fragen, wie sie durch den nächsten Winter kommen.
WAHNSINN. Im Wahlresultat zeigen sich diese Fehler nun schreiend. Der PD sackt ab, zusammen mit seinen Alliierten (Grüne, Sinistra Italiana und +Europa) kommt er nur auf 26 Prozent. Die 5 Stelle haben mit ihrer Kampagne im Süden Italiens zwar den Nerv getroffen. Aber insgesamt kommt die Partei doch nicht über 15 Prozent, halb so viel wie vor vier Jahren. Millionen jüngere Wählende blieben zu Hause. Mit einer mobilisierenden Einheitsliste der Progressiven sähe das Resultat heute anders aus. Denn vielerorts war es wie in Apuliens Hauptort Bari: Die 5 Stelle kamen auf 29 Prozent, der PD auf 26 Prozent, die Fratelli auf 37 Prozent. Dank der rechten Wahlallianz bekommen Melonis Fratelli nun den Sitz. Wäre das fortschrittliche Lager nicht so verrückt gewesen, hätte es mit zusammen 55 Prozent den Sitz auf sicher gehabt. Che follia, welcher Wahnsinn!