ÖV-Streik in Genf: Während 36 Stunden stand alles still
Busfahrerinnen und Tramfahrer erstreiken sich mehr Lohn

Nach eineinhalb Tagen Streik knickte die Leitung der Genfer Verkehrsbetriebe ein.

GUT GELAUNT UND KAMPFBEREIT: Eine Streikequipe der kantonalen Verkehrsbetriebe am frühen Morgen vor ihrem Depot in Genf. (Foto: SEV)

Einen Tag lang legten die Beschäftigten der Genfer Verkehrsbetriebe den öffentlichen Verkehr lahm. Doch die Leitung der Verkehrsbetriebe brauchte etwas Nachdruck, und so verlängerten die TPG-Mitarbeitenden kurzerhand den Streik. Prompt erklärte die TPG-Direktion den zweiten Streiktag wegen fehlender Vorankündigung sogar für un­zulässig – als ob ein Streik auf einen ­einzigen Tag beschränkt sein sollte. Trotzdem akzeptierte sie schliesslich die Forderung der Streikenden nach dem automatischen Teuerungsausgleich.

Zuvor hatten die TPG unter dem Vorwand der schlechten Ergebnisse während der Corona-Pandemie beschlossen, das Personalstatut nicht anzuwenden. Dieses garantiert für 2022 eine Indexierung der Gehälter auf der Grundlage des Vorjahres, also eine Lohnerhöhung von 1,2 Prozent. Stattdessen boten die TPG eine Prämie von 500 Franken an. Die Mitglieder der Gewerkschaften SEV und Transfair lehnten diesen Kuhhandel ab. Sie reichten eine Streikankündigung für den 28. Juni ein. Darauf antwortete die TPG-Geschäftsleitung mit einem neuen Vorschlag: dem halben Teuerungsausgleich und einer Prämie von 400 Franken. Doch auch auf diesen Deal liessen sich die TPG-Mitarbeitenden und die Gewerkschaften nicht ein. Stattdessen kam es am 12. Oktober zum Streik.

Jetzt gibt’s den vollen Teuerungsausgleich und 400 Franken Prämie.

VERHINDERUNGSVERSUCH

Vor dem Streik hatte die TPG-Geschäftsleitung einen seltsamen Mini-Fahrdienst organisiert: Am späten Abend des 11. Oktober wies sie etwa 180 Busfahrerinnen und -fahrer an, ihre Fahrzeuge ausserhalb der Depots und am Strassenrand zu parkieren. Obwohl sie noch nicht an ihrem Ziel angekommen waren, mussten die Fahrgäste aussteigen und, wie auch die Chauffeurinnen und Chauffeure, zu Fuss nach Hause gehen. Die TPG-Leitung wollte damit verhindern, dass die Streikenden die Ausfahrt der Busse aus den Depots blockierten. Doch umsonst. Obwohl die Geschäftsleitung sogar Mitarbeitende aus den Ferien zurückholte, konnte am 12. Oktober nur jedes vierte Fahrzeug fahren. Rund 600 TPG-Mitarbeitende streikten. Der Mechaniker und Leiter der SEV-TPG-Sektion, Vincent Leggiero, sagt: «Wir haben immer gearbeitet. Während der Pandemie und auch während der Hitzewelle. Wir sind keine Blockierer, sondern Streikende. Wir kämpfen um unsere Kaufkraft.»

STREIKMACHT

SEV-Präsident Giorgio Tuti war vor Ort und war von den Streikenden beeindruckt: «Man spürt eine gute Dynamik, die Beschäftigten verstehen gut, was auf dem Spiel steht, das macht Freude.» Auch Alejo Patiño, Gewerkschaftssekretär der Unia Genf, bekundete seine Solidarität mit den Streikenden: «Der Kampf, den ihr heute führt, ist wesentlich für euch, aber auch für die Beschäftigten im öffentlichen und im privaten Sektor, denn alle Kämpfe der Arbeitnehmenden sind miteinander verbunden.»

Es brodelt: Auch Staatsangestellte streiken.

Am 12. Oktober legten auch die Genfer Staatsangestellten die Arbeit nieder. Der Staatsrat hatte einen Haushaltsentwurf für 2023 vorgelegt, der weder den Teuerungsausgleich noch die jährlichen Lohnerhöhungen vorsah. 1500 Personen protestierten in der Innenstadt, run 880 Staatsangestellte beteiligten sich am Streik. (jb)

Die Vereinbarung wird in zwei Schritten umgesetzt: plus 0,6 Prozent rückwirkend ab September und plus 0,6 Prozent ab Januar. Dazu kommt die Prämie von 400 Franken. Gewerkschafter Leggiero: «Natürlich hätten wir lieber schon jetzt die volle Lohnerhöhung gehabt, aber wichtig ist, dass wir sie bekommen, auch wenn es erst ab Januar ist. Wir haben unsere Stärke gezeigt. Die Geschäftsleitung, die den Streik von 2014 nicht erlebt hat, kann uns jetzt nicht mehr länger ignorieren.» 2014 hatten die Beschäftigten der TPG mit Streik einen geplanten Stellenabbau verhindert und die Beibehaltung der Lohnmechanismen und der Errungenschaften für die Rentner erreicht.

Dieser Artikel erschien zuerst am 19. Oktober 2022 in der Westschweizer Unia-Zeitung «L’Evénement syndical».

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