Der neue GAV für Malerinnen und Gipser bringt faire Regeln
für Teilzeitarbeit und weniger Lohnabzüge. Auch dank Yelines Hofer und Kurt Wyssbrod. Mit work haben die beiden über geizige Auftraggeber und Jammeri-Patrons gesprochen.
Was für ein Kontrast! Kurt Wyssbrod, 68, im weissen Maler-Übergwändli, und Yelines Hofer, 30, mit blaugrünen Haaren. Nebeneinander stehen die beiden im Feierabend-Gewimmel am Bahnhof Bern. Was sie vereint: ihr Engagement in der Unia – und die Leidenschaft für den Malerberuf. Wyssbrod zählt auf: «Du kannst kreativ sein, du arbeitest ohne Chef im Nacken, machst immer was Neues – und am Ende des Tages siehst du das Resultat.» Hofer nickt. Fast
genauso hat sie’s diesen Frühling im work-Porträt auch gesagt.
Heute treffen sich die beiden fürs work-Gespräch über den neuen Gesamtarbeitsvertrag für Maler und Gipserinnen (siehe Box). Und darüber, was die Branche bewegt. Zum Beispiel Chefinnen und Chefs, die vom Handwerk nichts mehr verstehen. Yelines Hofer stellt fest: «Immer mehr Betriebe werden von Bürolisten geführt.» Kurt Wyssbrod widerspricht: es gebe doch noch viele Malermeister. «Findsch?» erwidert Hofer. Das Problem sei, dass viele gleich nach der Lehre die Meisterprüfung in Deutschland ablegten. Das sei günstiger, und es würden nicht fünf Jahre Berufspraxis verlangt wie in der Schweiz. Sie habe in den letzten Jahren sicher acht oder neun Leute erlebt, die das so gemacht hätten. «Hey, die arbeiten schlechter als ein Stift im ersten Lehrjahr. Und das sind die, die einen Betrieb führen!» Wyssbrod ist baff: «Tatsächlich?»
«Es geht darum, diesen coolen Beruf vorwärts zu bringen.»
DIE GRÖSSTEN PREISDRÜCKER
Einig sind sich die beiden hingegen, wer der mühsamste Auftraggeber sei: die öffentliche Hand. Wyssbrod: «Das sind die grössten Preisdrücker.» Und jedesmal gebe es ein Gschtürm, ergänzt Yelines Hofer. Und erzählt von einem Schulhaus, das sie mal gestrichen hat. «Die Säulen hellgrau, Wände und Decken weiss, wie abgemacht.» Bei der Abnahme habe die Chefin der Behörde reklamiert, die grauen Säulen gefielen ihr nicht, sie habe es doch anders angeordnet. Hofer: «Super. Irgendjemand hatte die Farben vertauscht. Und wir konnten dann zwei Nachtschichten einlegen und alles nochmals streichen. Die Säulen weiss, den Rest hellgrau.»
Wyssbrod nickt. Früher hätten Abmachungen «verhebt», sagt er. Auch der Stellenwert der Handwerksarbeit sei höher gewesen. «Als ich ein Bub war, da trug der Maler unter dem Übergwändli ein Hemd mit Krawatte. Der war eine angesehene Person!»
Hofer lächelt und sagt: «Du wirst sehen, der Respekt fürs Handwerk kommt wieder!» Jetzt fehlten überall die Fachkräfte, sagt sie. Gutes Handwerk werde rar. «Kurt, du bist das beste Beispiel. Dass du auch tapezieren kannst, das ist eine Rarität.» Stimmt, sagt dieser. Nach der Pensionierung hat sich der Berner selbständig gemacht und ist heute als Ein-Mann-Betrieb voll ausgelastet. «Kürzlich musste ich sogar im Wallis aushelfen, weil sie niemanden fanden. Es ist erstaunlich: Als alter Fachmann bin ich sehr gefragt.» Jetzt lacht auch er, lehnt sich zurück und nimmt einen Schluck Bier.
«Es ist erstaunlich: Als alter Fachmann bin ich sehr gefragt.»
GEGEN GRATISARBEIT
Die beiden kennen sich jetzt bald anderthalb Jahre. Zusammen haben sie die Unia-Basis in den Verhandlungen zum neuen GAV vertreten. Wyssbrod tut dies schon seit 30 Jahren und bezeichnet sich deshalb als «Fossil» Hofer stiess dieses Mal neu dazu. Am meisten gestritten habe man darüber, ob der Weg zur Baustelle als Arbeitszeit zähle, sagen beide. Bisher gilt: Eine Anfahrt von bis zu einer halben Stunde muss nicht bezahlt werden. Das sei schlecht, sagt Hofer: «Viele Firmen ziehen einfach jeden Tag eine halbe Stunde ab, auch wenn die Fahrzeit kürzer war. Das geht doch nicht!» Die Gewerkschaften wollten entweder diese Gratisarbeit abschaffen oder zumindest eine Pflicht zur Dokumentierung der Fahrzeit einführen. Wyssbrod: «Aber da jammern die Meister sofort, das sei zu viel Aufwand.» Jetzt werden immerhin Empfehlungen erarbeitet.
Hofer holt für beide noch einen Kaffee. Dann sagt sie: «Mit der Zeit merkst du, wo nichts zu holen ist und wo’s Spielraum gibt.» Den gab’s zum Beispiel bei den Löhnen und bei den Prämien für die Taggeldversicherung. Hofer ist erleichtert, dass die Chefs neu die Hälfte davon bezahlen: «Das war überfällig!» Wyssbrod sagt dagegen, besonders stolz sei er auf die fairen Regeln zur Teilzeit: «Das ist ein Novum auf dem Bau!»
EINEN TAG MEHR FERIEN? KEINE CHANCE
Aufgelaufen sei man mit der Forderung nach mehr Ferien. 22 Tage sah der alte Vertrag vor, jetzt wollten die Gewerkschaften 23. Einen Tag mehr – aber das war chancenlos. Wyssbrod: «Dann kommt sofort das Argument der Patrons, sie verdienten jetzt schon zu wenig.» Hofer lacht: «Ja genau. Sie verdienen immer zu wenig!» Wyssbrod grinst breit und sagt: «Sie sind ganz armi Sieche, das muss man mal festhalten.»
Hofer schaut auf die Uhr. Am nächsten Morgen müssen die beiden wieder früh raus. Vor dem Verabschieden sagt die Malerin noch: «Einen GAV zu machen, das sollte kein Gegeneinander sein. Sondern ein Miteinander. Es geht darum, diesen coolen Beruf vorwärtszubringen.»
Das bringt der neue GAV
Der Bundesrat hat den neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für Malerinnen und Gipser auf den 1. Oktober in Kraft gesetzt. Er ist für die ganze Branche verbindlich und bringt folgende Neuerungen:
- mehr Lohn für alle: Bis 2024 jedes Jahr plus 50 Franken.
- höhere Mindestlöhne in allen Kategorien.
- Neu ist im GAV geregelt, was bei Teilzeitarbeit gilt.
- Krankentaggeld: Arbeitgeber zahlen neu die Hälfte der Prämien. Dadurch steigt der Nettolohn.
- Vaterschaftsurlaub zum vollen Lohn (statt 80%).
Mal ein Gespräch mit einem schönen Anstrich in der WZ.