Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Am Anfang hatte ein halbes Jahr als «Privatbriefträgerin» in einem Bergdorf gestanden, als vom Posthalter zur Bewältigung der Hochsaison temporär Angestellte. Die Post hiess noch PTT, und es wurde ein schöner Winter mit Horeschlitte, AHV-Auszahlungen und dazugehörigem «Kaffee fertig».
Der Widerwille gegen das Durchfunktionieren in Gelb wuchs.
DAUERKONTROLLE. Es sind fünfzehn Jahre her, dass die Briefträgerin dann definitiv zur Post kam. Der Beginn war brutal. November, eisige Strasse, die Briefträgerin eine ungeübte Rollerfahrerin, der Zeitdruck trotzdem gewaltig. Mindestens einisch uf d Schnure gheie pro Winter gehörte dazu. Nicht nur bei ihr. Eineinhalb Jahre im Stundenlohn, dann, gerade noch rechtzeitig – die Finanzkrise hätte ihn wieder vereitelt –, ergatterte sie den Monatslohn. Die Frauen waren im Unterschied zu heute eine winzige Minderheit, die Lohnunterschiede zwischen Altgedienten und Neuangestellten schon riesig. Dauerkontrolle von oben und leider auch von den Seiten an der Tagesordnung. Eine neue Leistungskultur wurde eingeführt. Die inzwischen etabliert scheint, es ist nicht mehr so viel Druck nötig wie damals.
VERMISSEN. Was die Briefträgerin jetzt schon vermisst: Die einzigartige Arbeit am Sortiergestell. Die Stimmung im Stollen, wenn sie gut war. Die DXP-Fahrten bei leichtem, warmem Wetter. Im Schärme ankommen nach einem Dauerregenmorgen. Fröhliche Begegnungen. Die Freude der Nutzniessenden an einer ersehnten Sendung. Sogar ein wenig die Frühmorgenatmosphäre, in den Strassen, im Bahnhof, im Zug: Pflegepersonal, Bauleute und am Samstag die Nachtvögel mit aufgelösten Gesichtern. Was der Briefträgerin gar nicht fehlt: Das Schrillen des Weckers zu nachtschlafener Stunde. Der Zeitteufel. Gehetz, Gefluch und Kistchenknallen, wenn die Stimmung im Stollen schlecht war. Besserwisserische, motzende «Kundschaft». Effizienzorientierte Reorganisationen.
Die Widerstandskraft der Briefträgerin gegen den Leistungsdruck wuchs im Verlauf der Jahre. Wie ihr Widerwille gegen das Durchfunktionieren in Gelb. Sie war gerne Briefträgerin bei der Post und ist es jetzt gerne nicht mehr.