Seinen Beruf kann man in der Schweiz nicht lernen: Jérôme Lasnier hält im Berner Jura 16 Windturbinen am Laufen. Der 40jährige erzählt, warum er dafür seefest sein muss – und warum ihn eine Panne manchmal freut.
SORGT DAFÜR, DASS DIE WINDRÄDER DREHEN: Jérôme Lasnier (40) schraubt und schmiert in 95 Metern Höhe. (Fotos: Matthias Luggen)
Und plötzlich taucht ein Windrad aus dem Nebel auf. Die riesigen Flügel rauschen ringsum, nicht schnell, aber auch nicht langsam. Eher majestätisch. Der Fotograf findet: meditativ.
Schon seit 1996 betreibt das Berner Energieunternehmen BKW hier im Berner Jura einen Windpark. Mittlerweile stehen auf dem Mont Crosin und dem Mont Soleil oberhalb von Saint-Imier 16 Windräder und liefern grünen Strom für durchschnittlich 15 000 Haushalte. Es ist das grösste Windkraftwerk der Schweiz. Und der Arbeitsplatz von Jérôme Lasnier. Als einer von zwei Technikern hält er den Windpark in Schuss. Zweimal pro Jahr steht pro Turbine ein Service an. Er wechselt die Ölfilter, fettet die Lager, checkt und reinigt die Mechanik, den Transformator und so weiter. Lasnier: «Das ist viel Handarbeit, und das gefällt mir.» Ein bis drei Tage arbeitet das Zweiergespann an jeder Turbine – und lässt dafür den festen Boden weit unter sich: Die Nabe der Windräder liegt 95 Meter über Boden, fast so hoch wie das Berner Münster, der höchste Kirchturm der Schweiz. Hochklettern muss Lasnier aber meist nicht: Im Inneren des Turms befindet sich ein Lift.
work-Serie: Sie schaffen die Energiewende
Teures Gas, knapper Strom und eine Klimakrise, die sich immer deutlicher zeigt: Das Thema Energie bewegt die Schweiz wie schon lange nicht mehr. work richtet dabei den Blick auf die Büezerinnen und Büezer, die bereits jetzt an der Energiewende arbeiten. Alle Teile der «worktag»-Serie gibt es zum Nachlesen unter: workzeitung.ch/worktag
GUTE BISE. Dazu kommen Reparaturen. Bei Problemen schaltet sich eine Turbine automatisch ab, Lasnier bekommt eine Meldung. Dann unterbricht er die reguläre Arbeit und fährt zur defekten Turbine. Damit sie möglichst rasch wieder Strom erzeugen kann. Das komme öfter vor, als man vielleicht denke, sagt Lasnier: «Im Schnitt gibt’s etwa alle zehn Tage irgendwo eine Störung. Im Winter öfter, weil dann die Bise oft weht, im Sommer seltener.» Sehr oft sei dann ein elektrisches Element kaputt. Manchmal brauche die Reparatur nur ein paar Stunden, manchmal mehrere Tage – oder noch länger, wenn der Windpark das benötigte Ersatzteil nicht im Lager habe. Am mühsamsten sei ein Wackelkontakt, sagt der Techniker: «Du ersetzt ein Teil, und die Turbine funktioniert. Und plötzlich steigt alles wieder aus. Den Fehler zu finden braucht manchmal Nerven.»
Trotzdem findet er die Reparaturen spannend. Nur immer den geplanten Service abspulen, das wäre ihm zu repetitiv, sagt er: «Wenn ich zwei Wochen Service gemacht habe, und es gibt eine Panne, dann freue ich mich auf die Abwechslung.»
IMMER ZU ZWEIT. Lasnier verlässt die Schotterstrasse und stapft über die Kuhweide zur Turbine. Er trägt Helm und stabile Schuhe. Im Winter, wenn viel Schnee liegt, kommt er hier zu Fuss nicht weiter: «Dann fahren wir mit einem Quad.» Noch den grösseren Einfluss auf seine Arbeit hat, wen wundert’s, der Wind. Weht er mit mehr als 9 Metern pro Sekunde, sollen die Turbinen laufen. Lasnier: «Wir checken immer zuerst die Wetterprognose. Erst dann planen wir unsere Arbeitswoche.» Und werfen den Plan auch über den Haufen, wenn nötig. Gerade letzte Woche waren sie mitten in einem Service, als am Vormittag plötzlich der Wind stärker wurde. «Da haben wir den Service unterbrochen und die Turbine in Gang gesetzt.»
Sie arbeiten immer zu zweit. Schon wegen der Sicherheit: Sollte sich der eine in 95 Metern Höhe verletzen, kann der andere Hilfe holen. Und gewisse Arbeiten gingen ohnehin nicht alleine: «Der grosse Schraubenschlüssel ist mehr als einen Meter lang. Der braucht vier Hände, um die Schraube fest genug anzuziehen.»
BESTE AUSSICHT. Am Windrad schliesst Lasnier die ovale Tür auf. Der Turm aus dickem Stahl hat rund vier Meter Durchmesser. Auch die Gondel am oberen Ende sei grösser, als sie von unten wirke, gut sechs Meter lang und drei Meter hoch. «Grösser als eine Wohnung in Paris und erst noch mit besserer Aussicht», witzelt Franzose Lasnier. Dass sie bei Wind schwankt wie ein Schiff, stört ihn nicht. Er sei seefest, sagt er und schmunzelt.
Nur 0,3 Prozent des Schweizer Stroms kommen aus der Windkraft. In Deutschland sind es 23 Prozent, in Dänemark sogar 49 Prozent. Schon seit mehr als zehn Jahren möchte die BKW gleich neben dem Mont Crosin einen weiteren Windpark bauen – aber das Projekt ist seit Jahren blockiert. Lasnier gibt sich diplomatisch: Die Schweiz habe viele Wasserkraftwerke, die lieferten auch Ökostrom. Und das Land sei halt dichter besiedelt: «Das Dorf in Frankreich, wo ich herkomme, hat 120 Einwohner. Da gibt es viel Platz für Windräder.»
Sind denn die Windräder wirklich eine Gefahr für Vögel, wie oft argumentiert wird? Lasnier winkt ab. Ein einziger Vorfall sei bisher gemeldet worden. «Die Vögel haben auch ein Hirn. Die schauen schon, wo sie durchfliegen.»
Jérôme Lasnier Gefragter Fachmann
Jérôme Lasnier stammt aus der ländlichen Region Limousin in der Mitte Frankreichs. Nach einer Ausbildung im Detailhandel arbeitete er in einer Zoohandlung, baute Kräuter und Gewürze an, jobbte in einem Hotel und arbeitete sich dort zum stellvertretenden Direktor hoch. Mit 34 Jahren absolvierte er in Frankreich die sechsmonatige Ausbildung zum Windturbinentechniker. Das macht ihn zum gefragten Mann. Auch in der Schweiz, wo es keine solche Ausbildung gibt. Vor gut einem Jahr erhielt Lasnier ein Angebot von der BKW – und schlug sofort ein.
GEMÜSE. Etwa einmal pro Monat fährt er zurück nach Frankreich und besucht seine Freundin, schaut nach dem Haus und dem Gemüse, das er im Garten anbaut. In der Schweiz verbringt er die Freizeit mit Wandern, Kochen und Lesen, «am liebsten historische Romane, zum Beispiel die von Ken Follett».
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