Stur wie eine Eselin
Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein stark umworbenes, kostbares Gut. Und sieht je nach Blickwinkel sehr unterschiedlich aus.
Die «Unruh» ist das Herzstück einer mechanischen Uhr. Sie gibt dem Ticktack den Takt vor. Zusammen mit der «Hemmung» sorgt sie dafür, dass die Zeit nicht im Nu verfliegt. Beide sind Teil eines filigranen «Schwingsystems», zuständig für Pünktlichkeit im Rädchenwerk. Die «Réglage», die Feinregulierung, erfolgt in ruhigster Handarbeit. Ein Auge blickt durch die Uhrmacherlupe, in der Hand die Pinzette: so erschaffen Uhrmacherinnen und Uhrmacher in jahrhundertealter Tradition ein Kunstwerk. Gefertigt aus weitgereisten Rohstoffen, für Kundschaft aus aller Welt – schon seit je ein globalisiertes Produkt. Ein Luxusprodukt. Rund 1,6 Millionen Franken kostet die Reverso Hybris Mechanica Calibre 185 des Traditionshauses Jaeger-LeCoultre im jurassischen Vallée de Joux. Die Reverso Tribute Duoface Calendar kostet noch 26 700 Franken, die Reverso Tribute Monoface Small Seconds gibt’s bereits für 8550 Franken.
Das ist noch immer viel mehr, als eine Uhrenarbeiterin durchschnittlich im Monat verdient. Umso erfreulicher: Die rund 50 000 dem Uhren-GAV unterstellten Arbeiterinnen und Arbeiter erhalten bis zu 6,1 Prozent mehr Lohn. Eigentlich nichts als logisch. Denn das Geschäft mit den Luxusuhren läuft wie geschmiert. Monatlich melden die Uhrenkonzerne neue Export-Rekordzahlen. Bis Ende Jahr dürfte die Schweiz für deutlich mehr als 20 Milliarden Franken Uhren exportiert haben. Die Uhren-Patrons haben begriffen, wem sie diese Rekordumsätze verdanken. Und werden hoffentlich auch bei den kommenden GAV-Verhandlungen daran denken.
Coop-Chef Wyss vergisst, wer die halbe Milliarde Gewinn erwirtschaftet hat.
HEILIGER BIMBAM. Höchste Zeit für eine Gedächtnisstütze wäre es hingegen bei Coop-CEO Philipp Wyss, der pro Jahr volle
600 000 Franken garniert und sich die Reverso Tribute Duoface Calendar locker zu Weihnachten schenken könnte. Er scheint vergessen zu haben, wer bei Coop zum rekordhohen Gewinn von einer halben Milliarde Franken beigetragen hat. Anstelle einer realen Lohnerhöhung wollte der gelernte Metzger die Mitarbeitenden mit einem Einkaufsgutschein abspeisen.
Sehr viel Zeit liess sich der Baumeisterverband. In den Verhandlungen um den neuen Landesmantelvertrag wartete er ein halbes Jahr, ehe er präzise Forderungen auf den Tisch legte. Was er auf Druck der Gewerkschaften schliesslich präsentierte, ist wahrlich eine «Zeitbombe»: Nur wenn sie die Bauleute nach ihrem Gusto chrampfen lassen können, sind die Baumeister bereit, den vollen Teuerungsausgleich zu bezahlen. Dies, obwohl die Baubranche prächtig blüht. Kein Wunder, denken manche Baubüezer bereits an einen Jobwechsel. In eine Branche, in der sie ihre Gesundheit weniger aufs Spiel setzen und mehr Zeit für ihre Familien haben.
FÜNF VOR ZWÖLF. Die Zeit läuft. Bis Ende November braucht’s eine Einigung. Jetzt gehen Gewerkschaften und Baumeister in zwei Extra-Verhandlungsrunden. Ein neuer Landesmantelvertrag ist für alle wichtig. Deshalb gingen in der ganzen Schweiz Tausende Baubüezer auf die Strasse und forderten, dass die Baumeister endlich zur Vernunft kommen. Ansonsten folgen Streiks im neuen Jahr. Tick tack, tick tack …