Die Schweiz steckt punkto familienergänzende Betreuung noch in den Kinderschuhen. Die Folgen: Lohn- und Renteneinbussen für Frauen. Und miese Arbeitsbedingungen für Kita-Mitarbeitende.
WICHTIG, NICHT NUR FÜR DIE KLEINEN: Von einem bezahlbaren und gut ausgebauten Betreuungsangebot profitieren vor allem Mütter und Familien mit tieferen Einkommen. (Foto: Keystone)
Fast zwei Drittel der Kinder unter 13 Jahren in der Schweiz werden familienergänzend betreut, schreibt das Bundesamt für Statistik (BfS). Viele Eltern können sich für ihre Kinder die Kita oder den Hort aber nicht leisten. Das Kinderhilfswerk Unicef hat die Zugänglichkeit des Betreuungsangebots in Industriestaaten unter die Lupe genommen. In ihrem Bericht landete die Schweiz abgeschlagen auf Platz 38 von 41. Einzig in Zypern, den USA und der Slowakei ist es noch schwieriger, einen bezahlbaren Krippen- oder Hortplatz zu finden. In der Schweiz reduzieren 62,2 Prozent aller Mütter nach der Mutterschaftspause ihr Arbeitspensum. Die Quittung, die sie für jahrelange unbezahlte Care-Arbeit erhalten: Lohn- und Renteneinbussen. Ob Familien Zugang zu Kitas haben, hängt vor allem davon ab, wo sie wohnen: Gerade in ländlichen Gegenden reicht das Angebot oft nicht aus und wo es existiert, ist es vielmals zu teuer. Das will die Kita-Initiative ändern.
«Die Kitas finden kein Personal mehr.»
ERSCHWINGLICH FÜR ALLE
Ein Bündnis aus SP, dem Gewerkschaftsbund, den Grünen und Mitgliedern von GLP und Mitte hatte die Kita-Initiative dieses Jahr am Frauenkampftag am 8. März lanciert, um das Betreuungsangebot in der Schweiz zu verbessern und dieses für alle Familien zugänglich zu machen. Konkret bedeutet dies, dass die Kantone für ein ausreichendes Angebot an Kitas und Horten sorgen müssen. Das Angebot soll für alle Kinder von drei Monaten bis zum Ende des Grundschulalters gelten. Finanziert im Bereich Kitas zu zwei Dritteln durch den Bund. Den Rest tragen Kantone und Eltern. Aber: Das Angebot darf die Eltern nicht mehr als zehn Prozent ihres Einkommens kosten. Das würde vor allem eine Entlastung für Familien bedeuten, die sich bisher keine familienergänzende Betreuung leisten konnten. Und so die Gleichberechtigung der Frauen verbessern: Laut einer Studie der New Yorker Denkfabrik Century Foundation sind in Staaten, in denen ausgebauter Mutterschutz und bezahlbare und ausreichende Betreuungsstrukturen existieren, die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern kleiner.
MEHR SERVICE PUBLIC
Die Initiative greift hier einen klaren Missstand auf und versucht ihn anzugehen. An anderer Stelle wirft sie aber Fragen auf: Zwar würde die Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle» die Finanzierung der externen Kinderbetreuung mit einem viel stärker am Service public orientierten Modell ersetzen. Gerade aber bei den Arbeitsbedingungen der Kita-Betreuerinnen und -Betreuer bleibt die Initiative vage. Und gerade dort müsste, angesetzt werden. Das sagen Betroffene wie Ray Djuric (27). Wegen der miesen Bedingungen hat Djuric den Beruf verlassen: «Es waren immer mehr Kinder pro Betreuende. Die Kitas finden keine neuen Mitarbeitenden, weil wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und der tiefen Löhne so viele gehen.»
Heute arbeitet Djuric in einem Kindergarten und sagt: «Wenn sich bei den Kitas nichts ändert, dann haben sie keine Zukunft.» Deshalb sei die Kita-Initiative ein Schritt in die richtige Richtung.
Deutschland Droht der Kita-Kollaps?
Was geschieht, wenn eine Krankheitswelle auf Personalmangel trifft, kann man aktuell in deutschen Kindertagesstätten beobachten. Laut der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) fehlen 266 000 Kita-Plätze im Land. Dazu seien in manchen Betrieben aktuell bis zu 50 Prozent der Mitarbeitenden krank geschrieben. So bleibe nichts anderes übrig als Betreuungszeiten massiv zu reduzieren oder Kitas zeitweilig ganz zu schliessen.
MEHR GELD. Die Rede ist mancherorts gar vom drohenden «Kollaps». GEW-Vorstandsmitglied Doreen Siebernik forderte daher mehr Geld für die Kitas: «Die aktuelle Krankheitswelle trifft auf ein geschwächtes System.» So sei aktuell statt qualitativ hochwertiger Betreuung und Erziehung nur noch «Verwahrung» möglich. Es müsse endlich mehr Geld in die Bildung und damit in die Kinder investiert werden. Nach wie vor fehle entschlossenes politisches Handeln, um Platzausbau und Qualitätsentwicklung zu verbessern. (fs)