Jean Ziegler
Seit dem 1. Januar ist die Schweiz für zwei Jahre Mitglied des Uno-Sicherheitsrates, der Weltregierung. Vertreten wird sie von der hochkompetenten Pascale Baeriswyl, einer 54jährigen Basler Sozialdemokratin, ehemaligen Staatssekretärin und heutigen Uno-Botschafterin in New York.
Im Uno-Wolkenkratzer am East River tagt der Sicherheitsrat in einem – verglichen mit dem pompösen Saal der Generalversammlung – ziemlich bescheidenen Raum. Er ist durch einen eigenen Sicherheitsdienst geschützt, der den Raum zu einer schwer zugänglichen Enklave im riesigen Uno-Gebäude macht. Ich war acht Jahre lang Uno-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Nie habe ich die Enklave betreten ohne Ehrfurcht und eine gewisse Scheu.
Die Präsidentschaft des Sicherheitsrats üben die 15 Mitgliedstaaten im Turnus aus. Die Schweiz leitet den Rat während zweier Sessionen im kommenden Mai und im Oktober 2024.
SVP-Präsident Marco Chiesa versuchte, die eidgenössische Kandidatur für den Uno-Sicherheitsrat zu stoppen. Erfolglos.
ENTSCHEIDENDE INNENPOLITIK. Erfolg oder Misserfolg der schweizerischen Präsenz im Rat hängen weitgehend vom Durchsetzungswillen des amtierenden EDA-Chefs Ignazio Cassis ab. Die wichtigsten Schlachten werden demnach innenpolitisch ausgetragen. Seit es Micheline Calmy-Rey vor über zehn Jahren als damalige Aussenministerin gelang, den Bundesrat von der Kandidatur für den Sicherheitsrat zu überzeugen, läuft die SVP dagegen Sturm. Gegen den Uno-Beitritt kämpfte die Partei bereits 2002. Und beinahe hätte sie gewonnen: Das Ständemehr wurde nur dank einem Halbkanton erreicht. Noch im letzten Jahr verlangte SVP-Präsident Marco Chiesa eine Sondersession des Parlaments, um die eidgenössische Ratskandidatur zu stoppen. Glücklicherweise erfolglos. Der innenpolitische Kampf wird weitergehen. Wahrscheinlich intensiver noch als bisher.
Ein wesentliches Feld der schweizerischen Aussenpolitik sind die Guten Dienste. So vertritt die Schweiz die iranischen Interessen in Washington und jene der USA in Teheran, die iranischen Interessen in Saudiarabien und die Interessen Russlands in Georgien. Marco Chiesa sieht in der Mitgliedschaft im Sicherheitsrat eine augenfällige Verletzung der Neutralität und damit eine Gefahr für diese Guten Dienste. Diese Sorge ist völlig unbegründet, weil das Schweizer diplomatische Engagement zuerst und vor allem den Interessen der Staaten nützt, denen sie dient.
Eine weitere SVP-Behauptung: Die Schweiz riskiere, in blutige Kriege verwickelt zu werden, weil sie sich gegebenenfalls an Blauhelm-Truppen beteiligen müsse. Auch das ist unbegründet. Denn die Uno-Charta sieht kein Obligatorium vor. Ein Staat stellt Soldaten für die Blauhelme nur nach freiem Willen ab.
UNSERE VERANTWORTUNG. Kurz: Friedenssicherung ist die vorrangige Aufgabe des Uno-Sicherheitsrates. Dafür verantwortlich ist auch unser Volk. Der Erfolg der Schweizer Mitgliedschaft in dieser Weltregierung hängt deshalb entscheidend von der Unterstützung der Öffentlichkeit ab, also von jeder und jedem von uns.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam letzten Frühling als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.