Vor 25 Jahren starteten die Schweizer Gewerkschaften ihre erste Mindestlohn-Kampagne. Sie brachte Erfolge. Doch der Kampf geht weiter. Der ehemalige Unia-Co-Präsident und work Kolumnist Andreas Rieger ordnet ein.
«Keine Löhne unter 3000 Franken!» war der Schlachtruf der Gewerkschaften bei der Lancierung ihrer Kampagne im Jahr 1998. Der Skandal der Tieflöhne in der reichen Schweiz wurde publik und machte mächtig Druck auf viele Firmen. Mit Erfolg: Die Wirte stimmten 2001 in einem lichten Augenblick der Erhöhung der Löhne im Landes-GAV fürs Gastgewerbe um fast 20 Prozent auf 3000 Franken zu. Ähnlich die Migros, nachdem sie mit ihren Armutslöhnen am öffentlichen Pranger gestanden hatte. Es folgte ein Grossteil des Detailhandels, der Reinigungsbranche und viel andere mehr. Jetzt gibt es kaum mehr eine angestellte Person, die bei vollem Pensum weniger als 3000 Franken verdient. Im Jahre 2020, bei der letzten Lohnstrukturerhebung (LSE), waren es noch rund 1 Prozent aller Beschäftigten und 1,5 Prozent der Frauen.
Die nächste Etappe: «Keine Löhne unter 4500 Franken.»
TIEFLOHNGEGEND TESSIN. Doch heute sind 3000 Franken natürlich viel weniger wert als 1998. Deshalb haben die Gewerkschaften die Forderung aktualisiert und verlangten in den letzten Jahren «Keine Löhne unter 4000 Franken». Dieses Ziel ist aber leider noch gar nicht erreicht. 6,5 Prozent der Lohnabhängigen in der Schweiz verdienen weniger als 4000 Franken, gerechnet mit 12 Monatslöhnen und 40 Stunden pro Woche. Bei den weiblichen Beschäftigten sind es gar 9 Prozent, das heisst rund 200 000 Frauen!
Die grösste Tieflohnbranche ist das Gastgewerbe, wo der Mindestlohn für Ungelernte, gerechnet auf 12 Monate, im Jahr 2022 immer noch bei 3770 Franken dümpelt (2023: 3880 Franken). Zehntausende Tieflöhner gibt es zudem im Bereich der persönlichen Dienstleistungen (Körperpflege, Hauswirtschaft usw). Und auch einzelne Kantone sind richtige Tieflohngegenden. So arbeiten im Tessin rund 20 Prozent der Angestellten mit Löhnen unter 4000 Franken, bei den Frauen sind es sogar fast 30 Prozent! Hier sind Tieflöhne auch in der Industrie noch stark verbreitet.
Auch Löhne von 5000 Franken sind in der teuren Schweiz noch tief, bei 13 Monatslöhnen entspricht dies 4615 Franken. Weit kommt damit niemand. Aber fast 30 Prozent der Frauen und 16 Prozent der Männer verdienen weniger. Sogar wenn sie Vollzeit arbeiten.
Die gewerkschaftliche Lohnkampagne hat also noch viel zu tun. Die nächste Etappe heisst: «Keine Löhne unter
4500 Franken» pro Monat!