Rentenreform in Frankreich: Jetzt knipsen die Arbeitenden das Licht aus
Blackout für Präsident Macron

Millionen Menschen streiken und protestieren seit zwei Monaten gegen die Erhöhung des Rentenalters. Doch Emmanuel Macron will sie gegen die Mehrheit erzwingen. Das dürfte schiefgehen.

«NON À LA RÉFORME!»: Hunderttausende protestieren in Paris gegen Macrons Rentenpläne. (Foto: Getty)

Büezerinnen und Büezer der Gewerkschaft CGT haben die vier Flüssiggas-Terminals Frankreichs unter ihre Kontrolle genommen. Ebenso die 14 grossen Gaslager. Sie drohen, dem Land den Hahn abzudrehen, falls Präsident Emmanuel Macron seine Rentenreform gegen die Mehrheit mit Gewalt durchzwingt. Drei Viertel der Bevölkerung und alle acht Gewerkschaftsbünde lehnen die Erhöhung des Rentenalters scharf ab.

Machen die Gaser ernst, hätte das drastische Folgen. Die Wirtschaft käme ins Stottern. Die Versorgung wieder hochzufahren würde drei Wochen dauern, denn nach einem Lieferstop muss der Gasdruck in jedem Haushalt und in jedem Betrieb einzeln neu aufgebaut werden. Streikführer Sylvain Chevalier (CGT) zur rabiaten Drohung: «Wenn Macron nicht mit uns reden will, soll er uns fühlen.» Bis zum 7. März habe man sich an die Regeln gehalten, man habe brav demonstriert und ein bisschen gestreikt, doch «jetzt zwingt uns der Präsident zu entschiedenen Massnahmen».

Sogar Macron-Gläubige haben die Reform längst zerzaust.

UNSINNIGE REFORM

An neun Aktions- und Streiktagen haben die Gewerkschaften, unterstützt von der Linken, von Frauenorganisationen und der Klimajugend, Millionen Menschen auf die Strasse gebracht. Der Protest wuchs zur grössten sozialen Bewegung seit 1968. Dass sich alle Gewerkschaften, von der radikalen SUD bis zur reformistischen CFDT und zur Kaderorganisation CFE-CGC, in dieser historischen Einheitsfront, «Intersyndicale», fanden, zeigt den brutalen Unsinn der Reform. Sie ist unnötig (das Rentensystem ist finanziell gesichert), und sie trifft vor allem Frauen, Millionen von Tief­entlöhnten, Menschen, die jung ins Arbeitsleben einsteigen, und Arbeitende in gesundheitlich schwer belastenden Berufen. Bezeichnend, dass sich dem Protest auch etliche Arbeitgeber des Baugewerbes anschlossen.

Nachdem am 8. März 3 Millionen Demonstrierende in 250 Städten den Rückzug der Reform gefordert hatten, verlangte die Intersyndicale ein Treffen mit Macron. Der Präsident zeigte ihnen den Stinkefinger. In Macrons brieflicher Absage identifizierten die Gewerkschaften 15 dreiste Lügen, die seine Reform rechtfertigen sollen. Der Sinn der Botschaft war klar: Was ihr sagt, interessiert mich nicht. Ich kann mit euch machen, was immer ich will.

Viel mehr blieb ihm auch nicht übrig. Denn Ökonomen, Rentenfachleute und Politikforscherinnen, sogar Macron-Gläubige haben die Reform längst nach Strich und Faden zerzaust. Kein Argument Macrons hielt der Überprüfung stand.

MINISTER IM DUNKELN

CGT-Chef Philippe Martinez erkennt in der Reform einen weiteren Schritt Macrons zur Zerschlagung des Sozialsystems. Zuletzt hatte der Präsident im Januar den Zugang zur Arbeitslosenversicherung so hart eingeschränkt, dass heute nur noch 36 Prozent der Jobsuchenden überhaupt ein Recht auf Arbeitslosengeld haben. Viele sind auf Sozialhilfe angewiesen. Die beträgt gerade mal 500 Euro pro Monat. Die Schlangen in Frankreichs Armenküchen werden länger. Und bald werden sich da auch noch Zehntausende Rentnerinnen einreihen: Es ergibt keinen Sinn, das Rentenalter auf 64 zu erhöhen, wenn 40 Prozent der 55jährigen keinen Job mehr finden. Doch es ist bezeichnend für eine Regierung, in der 19 Ministerinnen und Minister Millionäre sind.

Nun aber sehen etliche Arbeitende rot. Etwa die Leute von den Elektrizitätswerken. Sie ­wollen den Konflikt radikalisieren. Die Stadt von Arbeitsminister Olivier Dussopt, Annonay im Rhonetal, legten sie kurzerhand in Dunkelheit. Mindestens drei macronistische Politiker hängten sie vom Strommetz ab. Lächelt ein Gewerkschafter: «Wir verordnen ihnen einen sparsamen Stromververbrauch.» Und Anfang März kappten sie nördlich von Paris dem Gebiet um die Sportanlage Stade de France den Saft. Ein Warnschuss: Dort startet demnächst die Rugby-WM, und 2024 finden in Paris die Olympischen Spiele statt.

Präsident Macron versucht, den wachsenden Zorn auszusitzen. Dieser Tage will er die Vorlage mit antidemokratischen Tricks durchs Parlament zwingen. Danach, so spekuliert er, werde die Gewerkschaftsfront zerbrechen. Denn CGT und CFDT trennen zwei gewerkschaftliche Kulturen: Für die CFDT steht Verhandeln über allem. Die CGT hingegen weiss, dass sozialer Fortschritt in Frankreich nur durch harten Konflikt erzwungen werden kann.

ERST DER ANFANG

Diverse Ausfälligkeiten von Macronisten aber belegen, wie nervös die Regierung ist. Sie hat etliche Unbekannte in ihrer Rechnung, selbst wenn CFDT und die Kader ausscheren sollten. Niemand weiss, ob die Gewerkschaftsbasis nicht eigene Wege geht. Und einzelne Gewerkschaften innerhalb der CGT und SUD sind bereit, den Verkehr, die Bahn und die Energieversorgung stillzulegen, also das ganze Land. An den Universitäten wächst der Aufruhr. Gelbwesten haben sich schon wieder auf diversen Kreuzungen zum aufständischen Barbecue installiert.

In einer vierstündigen Diskussionssendung auf dem Internetmedium Mediapart waren sich am 13. März rund 50 Streikende in einem Punkt einig: «Diese Bewegung hat gerade erst begonnen.»

1 Kommentare

  1. Peter Bitterli 17. März 2023 um 11:43 Uhr

    „Machen die Gaser ernst, hätte das drastische Folgen.“ Sie würden wohl ein paar hinter die Löffel bekommen.

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