Eine halbe Million Beschäftigte haben sich an Warnstreiks im öffentlichen Dienst beteiligt – und damit die Arbeitgeber zu Zugeständnissen gezwungen. Ob der Kompromiss ausreicht, ist allerdings umstritten.
MÄCHTIG: Wochenlang gingen Pflegende und andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes auf die Strasse. (Foto: Key)
Im Tarifkonflikt für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten des Bundes und der Gemeinden haben sich beide Seiten am 22. April auf einen Kompromiss verständigt. Demnach sollen die Löhne um einen Sockelbetrag von 200 Euro plus 5,5 Prozent steigen – allerdings erst ab März 2024. Bis dahin gibt es steuerfreie Einmalzahlungen von insgesamt 3000 Euro. Laut der Gewerkschaft Verdi steigen die unteren Einkommen um bis zu 16,9 Prozent. Durchschnittlich erhalten die Beschäftigten 11,5 Prozent mehr Geld. Dies allerdings bei einer Laufzeit von 24 Monaten. Ursprünglich hatten die Gewerkschaften 10,5 Prozent, monatlich mindestens 500 Euro, innerhalb eines Jahres gefordert (work berichtete: rebrand.ly/deutschland-streik).
Die unteren Einkommen steigen bis zu 16.9 Prozent.
BIS AN DIE SCHMERZGRENZE
Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke sagt: «Mit unserer Entscheidung, diesen Kompromiss einzugehen, sind wir an die Schmerzgrenze gegangen.» Dennoch sei eine beachtliche und nachhaltige Steigerung der Einkommen gelungen. Die Arbeitgeber hatten sich insbesondere gegen den geforderten Mindestbetrag von 500 Euro gewehrt, der die unteren Einkommensgruppen deutlich bessergestellt hätte. Sie wollten vor allem die Bezahlung der Höherqualifizierten anheben, um für diese auf dem Arbeitsmarkt attraktiver zu sein. Der nun erzielte Kompromiss aus Sockelbetrag plus Prozentsteigerung bedeutet eine Mischung, die zumindest eine gewisse soziale Komponente enthält.
Innergewerkschaftliche Kritikerinnen und Kritiker betonen, dass die Reallöhne angesichts der hohen Inflation mit dem Abschluss nicht vollständig gesichert werden. 2022 waren die Preise um durchschnittlich 6,9 Prozent gestiegen, die Bezahlung im öffentlichen Dienst aber nur um 1,4 Prozent. Für dieses Jahr wird eine Inflation von etwa 6 Prozent erwartet. «Die Laufzeit von 24 Monaten ist zu lang», heisst es in einer von den Berliner Team- und Streikdelegierten beschlossenen Resolution. «Niemand kann aktuell zuverlässig sagen, wie sich die Inflation und die Weltlage in zwei Jahren entwickeln werden.» Die Verdi-Führung kommt hingegen zu dem Schluss, dass auch mit einem unbefristeten Streik nicht mehr herauszuholen wäre. Bis zum 12. Mai werden die Gewerkschaftsmitglieder befragt, ob sie das Ergebnis annehmen wollen.
In anderen Bereichen gehen die Streiks derweil weiter. Am Berliner Flughafen streikte das Sicherheitspersonal am 25. April, sämtliche der 220 geplanten Abflüge wurden gestrichen. Auch in mehreren Verkehrsunternehmen, die nicht unter den Tarif des öffentlichen Dienstes fallen, laufen weitere Warnstreiks. Eben-
so beim privaten Klinikbetreiber Helios.