Frankreich: Mitten im Rentenstreik wählt der CGT eine neue Chefin
Binet, Sophie Binet

Zum ersten Mal seit 1895 wählte die französische Grossgewerkschaft CGT eine Frau an ihre Spitze. Wer ist die Feministin, vor der Präsident Emmanuel Macron zittert?

DIE NEUE: CTG-Präsidentin Sophie Binet. (Foto: Keystone)

Morgens kurz vor fünf geschah das Unerwartete: Die 942 Delegierten der Docker, Verkäuferinnen, Baubüezer, Lehrerinnen, Metallschmelzer, Verwaltungsangestellten, Müllarbeiter, Journalistinnen, LKW-Fahrer, Eisenbahner und anderer Berufe erhoben sich und feierten Sophie Binet (41) als neue Generalsekretärin des Gewerkschaftsbundes CGT.

Kaum jemand hatte Binet auf dem Radar. Die Erziehungsberaterin leitete die Gewerkschaft der Kader («Weisskragen») und war in der CGT für Gleichstellung und den Kampf gegen sexistische Gewalt zuständig. Kein Job, mit dem man sich in dieser immer noch männerlastigen Organisation Lorbeeren erwirbt. Ihr Credo, in Buchform veröffentlicht, heisst «Klassen-Feminismus». Feminismus im Klassenkampf. Am Kongress sah man, wie sie im grünen Pulli die rauen Männer von der CGT Energie um die Schultern fasste und mit ihnen das Kampflied anstimmte: «Macron, bei dir wird es bald zappenduster.»

Sophie Binets Credo heisst: «Klassen-Feminismus.»

STREIT ÜBER STRATEGIE

CGT-Kongresse sind nichts für zarte Gemüter. Über strategische Ausrichtungen wird heftig, laut und ausdauernd gestritten. Besonders in Zeiten, da die CGT im grössten sozialen Konflikt seit 50 Jahren gegen Präsident Macrons Rentenreform steht. Der 53. Kongress begann denn auch mit einem Knall: Die Delegierten lehnten den Rechenschaftsbericht des bisherigen Generalsekretärs Philippe Martinez ab. Seine Kritiker (Indus­trie, Eisenbahner, Energie, Service public) warfen ihm vor, den Konflikt um die Renten allzu defensiv zu führen: «Wir waren bereit, das Land lahmzulegen. Das hätte Macron zum Einlenken gezwungen. Martinez hat das Momentum verpasst.» Tatsächlich hatte Martinez die Streiks auf mittlerem Feuer gehalten, um das Bündnis mit der sozialliberalen CFDT zu sichern. Darüber lag sogar eine Spaltung der CGT in der Luft.

In ihrer ersten Rede sprach Sophie Binet diesen Streit furchtlos an: «Wer Konvergenzen will, muss die Differenzen benennen.» Taktisch klug hat Binet in ihre Leitungsgruppe auch die Radikalen ein­gebunden. Doch gleichzeitig wird sie, wie Philippe Martinez, die Bündnisse mit anderen Gewerkschaften und den ökologischen Organisationen vertiefen.

KORB FÜR BORNE

Nur drei Tage nach ihrer Wahl führte sie eine Delegation aller Gewerkschaften zu Premierministerin Elisabeth Borne. Den Matignon-Palast kannte Binet von früher: 2006 hatte sie hier als Sprecherin der Studentenproteste gegen ein Dumpinggesetz für Berufseinsteigerinnen und -einsteiger interveniert. Erfolgreich. Als jetzt Macrons Regierungschefin nicht über den Rückzug der Rentenreform sprechen wollte, trat Binet bereits nach wenigen Minuten draussen vor die Medien: «Wir haben hier nichts zu diskutieren, bis die Rentenverschlechterung vom Tisch ist.»

 

1 Kommentare

  1. Peter Bitterli 14. April 2023 um 21:45 Uhr

    Es ist wohl eher nicht so, dass Macron vor dieser „Erziehungsberaterin“ zittert.

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