Ausbeutung ist auf Europas Strassen Alltag. Doch jetzt wehren sich die Trucker einer polnischen Firma. Über 60 von ihnen harren auf einer Raststätte bei Darmstadt aus – bis ihre Löhne bezahlt sind.
TOTALSTILLSTAND: Mehr als 60 LKW-Fahrer weigern sich weiterzufahren, bis sie ihre Löhne erhalten haben. Ohne das Geld stehen sie und ihre Familien vor dem Nichts. (Foto: Michael Schick)
«Wir wollen unser Geld», sagt Giorgi Gelaschwili*. Der 22jährige LKW-Fahrer aus Georgien befindet sich mit über 60 seiner Kollegen in Gräfenhausen bei Darmstadt. Die blauen Laster der polnischen Firmengruppe Mazur parkieren in einer langen Reihe auf dem Autobahnrastplatz, und das schon seit drei Wochen. Die Beschäftigten wollen nicht weiterfahren, bis ihr Chef die Löhne zahlt, die er ihnen schuldet. Bei Gelaschwili geht es um 3500 Euro, bei anderen sind es bis zu 5000 Euro – für die Fahrer aus Georgien, Usbekistan und Tadschikistan sehr viel Geld. Sie brauchen es dringend, um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen.
Zur Kundschaft der polnischen Speditionsfirma zählen auch Coop und die Post.
VERSAMMLUNG IN BASEL
Begonnen hat es mit der plötzlichen Ansage des Arbeitgebers, den Sonntag nicht mehr zu bezahlen. Dabei liegt der Lohn ohnehin weit unter dem deutschen Mindestlohn, der auch den osteuropäischen Fahrerinnen und Fahrern zusteht. Diese stoppen daraufhin und kommen an verschiedenen Raststätten zusammen, auch in Südtirol und in der Nähe von Basel. Grigol Beridze* berichtet: «Wir sind ständig per SMS bedroht worden.» Er stand mit elf weiteren Fahrern in der Schweiz. «Drei haben sich bequatschen lassen und sind weitergefahren. Das versprochene Geld haben sie nie erhalten.» Die anderen sind nach Darmstadt weitergezogen. Der Fünfzigjährige fährt sonst jede Woche auf wechselnden Routen durch die Schweiz. Unter den Empfängern seiner Lieferungen: das Coop-Verteilzentrum in Niederbottigen bei Bern und das Post-Briefzentrum in Zürich Mülligen.
Streiks in Deutschland: Rollt die Protestwelle bald weiter?
Im Kampf um mehr Lohn im öffentlichen Dienst haben sich in den letzten Wochen mehr als 500 000 Beschäftigte an Warnstreiks beteiligt. Höhepunkt war der Mega-Streik vom 27. März, der den gesamten Verkehrssektor lahmlegte (work berichtete: rebrand.ly/mega-streik). Knackpunkt ist die Forderung nach einem Mindestbetrag von 500 Euro mehr im Monat, der die unteren Lohngruppen besserstellt.
ZWANGSPAUSE. Ende März sind die Tarifverhandlungen nun gescheitert. Dennoch müssen die Gewerkschaften eine Streikpause einlegen. Die Arbeitgeber haben die Schlichtung angerufen, während deren nicht gestreikt werden darf. Scheitert der Vermittlungsversuch allerdings, droht erstmals seit 31 Jahren eine weitere Streikrunde – ein sogenannter Erzwingungsstreik – im öffentlichen Dienst. (dab)
Der aus Tbilissi stammende Beridze ist seit fünf Jahren im Unternehmen. Er verdient 89 Euro am Tag – einschliesslich Spesen. Neueingestellte erhielten nur 75 bis 80 Euro. «Wir alle hier haben Familien, Kinder, Enkel. Manche haben Angst, dass sie von der Bank aus dem Haus gejagt werden.» Denn seit Streikbeginn verweigere das Unternehmen Lohnzahlungen auch für die bereits geleistete Arbeit. Badri Giorgadze*, der zehn Tage im norditalienischen Vipiteno stand, macht sich ebenfalls Sorgen. Seiner Frau hat er gesagt, sie solle versuchen, bei der Bank einen Kredit aufzunehmen, damit sie und die zwei Kinder die Zeit überstünden. Ob das klappt, weiss er nicht. Und auch nicht, ob er seinen Lohn doch noch erhält, von dem er den Kredit zurückzahlen könnte. Von seinem Chef hat er jedenfalls die Schnauze voll. «Ich bin zwei Jahre in der Firma, und es gab immer nur Probleme.» Jetzt wehrt er sich.
MIT PANZER GEGEN PROTEST
Unterstützt werden die Fahrer von Aktiven der niederländischen Gewerkschaft FNV und des Beratungsnetzwerks «Faire Mobilität» des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Mit ihrer Hilfe haben sie Verhandlungen mit dem Chef der Mazur-Gruppe aufgenommen. Dieser bot jedem Fahrer 1000 Euro, dafür müssten sie die LKW herausgeben. Als diese ablehnen, setzt der Unternehmer auf Gewalt: Am 7. April fährt eine Truppe der polnischen Security-Firma «Rutkowski Patrol» vor – mit schusssicheren Westen und im gepanzerten Wagen! Sie bedrängen die Streikenden und versuchen, die LKW wegzufahren. Doch die Fahrer wehren sich. Und auch die Polizei greift ein und verhaftet den Unternehmer sowie 15 seiner Schergen. Stefan Körzell vom DGB-Bundesvorstand fordert Konsequenzen: «Dass der Inhaber einen paramilitärischen Schlägertrupp einschliesslich Panzerfahrzeug schickt, um einen Protest zu beenden, ist ungeheuerlich!»
SOLI-GRÜSSE AUS SÜDKOREA
Die Streikenden wollen dennoch weitermachen. «Von so was lassen wir uns keine Angst einjagen – das macht uns umso entschlossener», sagt Beridze. Die umstehenden Kollegen nicken. Die Stimmung ist heiter. Und noch etwas hat der Mazur-Boss mit seiner Aktion erreicht: Der Kampf der Fahrer hat es in die internationalen Schlagzeilen geschafft. Und die öffentliche Unterstützung ist enorm. Täglich kommen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus der Region vorbei und bringen Lebensmittel. Und zuletzt traf sogar aus Südkorea eine Videobotschaft ein. Und was für eine! Während einer Trucker-Demonstration in Seoul tönte es aus tausend Kehlen: «Kollegen in Europa, bleibt stark! Gewinnen wir den Streik mit internationaler Solidarität!»
Von Armut betroffen zu sein ist keine Schande und betrifft viele Menschen, auch in der Schweiz. Wenn alle Stricke reissen, greift die Sozialhilfe unter die Arme – was Sie darüber...
Erstmals beleuchtet eine Ausstellung im Landesmuseum die koloniale Geschichte der Schweiz. Sie schafft dabei auch die Verbindung zwischen historischen Verbrechen und aktuellen Formen der Ausbeutung.
KOLONIAL: Globale Verflechtungen der Schweiz, 13.9.24...
Die neuen Manager des Schokokonzerns Barry Callebaut glauben an den grossen Umbauplan – und dass sie die Informationsrechte der Mitarbeitenden missachten können.
Mit den grössten Schweizer Abzocker-Managern kann Peter Feld (58)...
Schreibe einen Kommentar
Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.