Das lief am 1. Mai:
«Wir sind ‹too big to fail›!»

Warum Büezerinnen und Büezer «too big to fail» werden sollten. Warum einer von ihnen zitterte. Und warum die ganze Schweiz am 14. Juni beben wird: Das sind die Highlights des 1. Mai 2023.

Urs Brunner liess sich nichts anmerken. Dabei habe er innerlich «gezittert wie Espenlaub», gibt er später zu. Trotzdem hielt der 52jährige Elektriker der Toblerone-Fabrik seine 1.-Mai-Rede bravourös – und zwar gleich auf dem Berner Bundesplatz! Und er berichtete aus erster Hand von den Lohnverhandlungen mit dem Lebensmittelkonzern Mondelez.

Es seien zwei sehr harte Monate gewesen, so Brunner: «So sehr haben wir uns noch nie für eine Lohnverhandlung ins Zeug gelegt. Und darauf sind wir stolz.» Das langjährige Unia-Mitglied machte den mehreren Hundert Demo-Teilnehmenden Mut, sich zu wehren. Zwar hätten er und seine Kolleginnen und Kollegen nicht alle ihre Ziele erreicht. Aber eins hätten die letzten zwei Monate klar gezeigt, so Brunner: «Zusammen sind wir stark. Zusammen ist viel möglich!»

FÜR SEINE KOLLEGEN: Toblerone-Arbeiter Urs Brunner auf der 1.-Mai-Bühne in Bern. (Foto: ZVG)

SIRENEN, TROMMELN, TRILLERPFEIFEN

Das kam an. Ebenso wie die kämpferische Rede der Grünen-Nationalrätin Natalie Imboden. Mit Blick auf die «Demokratie-Initiative», die den Zugang zum Schweizer Pass erleichtern soll, forderte sie eine neue Diskussion um die politische Mitbestimmung: «Wer hier lebt, arbeitet, Steuern zahlt, zur Schule geht, soll in einer direkten Demokratie mitbestimmen können. Wir können nicht einen Viertel ausschliessen.»

An mehr als 50 Orten gingen am 1. Mai Arbeitnehmende auf die Strasse. In Lausanne forderten Schreinerinnen, Gipser und Zimmerleute Verbesserungen in ihrem GAV – lautstark mit Sirenen, Trommeln und Trillerpfeifen. In Bellinzona rief Unia-Frau Chiara Landi die rund 1500 Anwesenden auf, am 18. Juni ein Nein in die Urne zu legen – der Kanton stimmt dann über eine weitere Deregulierung von Ladenöffnungszeiten und Sonntagsarbeit ab. Von Schöftland bis Lichtensteig, von Goldau bis Saignelégier hiess es: «Mehr Lohn. Mehr Rente. Gleichstellung jetzt!» Die grosse Mehrheit der Veranstaltungen verlief friedlich. In Zürich kam es nach der offiziellen Demo zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, und in Basel sorgte die Polizei für einen Eclat: mit einem beispiellosen Angriff auf den bewilligten und friedlichen Mai-Umzug.

«Wir müssen uns zusammenschliessen, versammeln und organisieren.»

PARLAMENT IGNORIERT ARBEITENDE

In Interlaken und Yverdon kritisierte SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard die unsoziale Politik des Bundesrats und der Mehrheit des Parlaments. Da seien zum einen «die Grossbanken, die jahrelang orgienhaft Boni und Dividenden ausschütten können und denen periodisch Berge von Schweizer Franken zustehen, wenn sie bankrottgehen.» Zum anderen seien da: der Maurer, die Verkäuferin, der Pfleger, die Elektrikerin. Sie seien nach Ansicht der Parlamentsmehrheit «nicht ‹too big to fail›, sondern klein genug, um vergessen zu gehen». Aktuelle Beispiele? Höheres Rentenalter für Frauen, baldige Abschaffung der Witwenrente, tiefere Renten und höhere Beiträge in den Pensionskassen.

Wie Elektriker Brunner forderte auch Maillard auf: «Wir können unsererseits ‹too big to fail› werden. Wir können dafür sorgen, dass die Interessen der Arbeitswelt besser respektiert werden. Dafür müssen wir uns zusammenschliessen, versammeln und organisieren. Genau das tun wir am 1. Mai – und am kommenden 14. Juni für den feministischen Streik.»

AUFWÄRMEN FÜR DEN FRAUENSTREIK

Bereits einen kräftigen Vorgeschmack auf diesen bot Tamara Funiciello am 1. Mai in Zürich. Den gut 10’000 Anwesenden rief die SP-Nationalrätin zu: «Lasst uns am 14. Juni einmal mehr dieses Land zum Beben bringen. Lasst uns anziehen, was wir wollen, hingehen, wo wir wollen, küssen, wen wir wollen. Lasst uns Gendersterne malen, bis sie das Gefühl haben, im Himmel zu sein.»

 

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In einer flammenden Rede machte sie klar: Die Kämpfe um höhere Löhne und Renten, um bezahlbare Kitaplätze und Wohnungen, um ein zeitgemässes Sexualstrafrecht und tiefere Arbeitszeiten – sie alle gehören zusammen. Denn: «Feminismus ohne Kapitalismuskritik, das ist nicht mehr als Gleichstellung in der Teppichetage! Wir wollen nicht gleiche Ausbeutungsschancen in einem Scheisssystem – wir fordern ein besseres Leben für alle. Und wenn wir schon dabei sind: grüne Politik ohne Klassenkampf ist und bleibt Gärtnerei.»

Ein Seitenhieb? Eher eine gerade Linke.

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