Lohnentwicklung:
Kaufkraft sinkt dramatisch

Die Kaufkraft ist in Europa 2022 so stark zurückgegangen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In der EU stiegen die Löhne im Durchschnitt zwar um 4,4 Prozent. Da die Preise aber mit 9,2 Prozent mehr als doppelt so stark zulegten, erlitten die Arbeitnehmenden einen Kaufkraftverlust von fast 5 Prozent. Diese Reallohnverluste verteilten sich auf die verschiedenen EU-Staaten unterschiedlich: Am stärksten betroffen unter den Nachbarländern der Schweiz war Italien, während die Verluste für die Lohnabhängigen in Frankreich und Österreich geringer ausfielen.

LAGE SPITZT SICH ZU. Auch in der Schweiz ist die Kaufkraft deutlich gesunken. Dank der relativ tiefen Inflation von 2,8 Prozent fielen die realen Lohnverluste 2022 mit «nur» 1,9 Prozent tiefer aus als in den meisten anderen Ländern. Allerdings ist die Kaufkraft schon zum zweiten Mal in Folge zurückgegangen. Das heisst: Heute haben die Beschäftigten real 2,7 Prozent weniger Lohn als noch 2021. Die Schweizer Reallöhne sind damit auf den Stand von 2015 zurückgefallen. Verschärft wird die Situation durch den Anstieg der grundlegenden Lebenshaltungskosten. Diese sind viel stärker gestiegen als die durchschnittlichen Konsumentenpreise und treffen vor allem Haushalte mit tiefen Einkommen hart. So sind Mieten und Mietnebenkosten europaweit viermal so stark gestiegen wie die Löhne. In der Schweiz fallen zudem die Krankenkassenprämien stark ins Gewicht. Für viele Familien mit tiefen und mittleren Einkommen sind diese Kosten höher als die gesamte Steuerbelastung, Existenzängste nehmen rasant zu.

GEWERKSCHAFTEN GEFORDERT. Um zu verhindern, dass noch mehr Menschen in die Armut zurückfallen, gibt es nur ein Mittel: mehr Lohn. In vielen europäischen Ländern sind deshalb die Mindestlöhne schon heraufgesetzt worden, teilweise sogar deutlich. In einigen Branchen gibt es hingegen noch immer Arbeitskämpfe, weil die Lohnangebote der Arbeitgeber zu tief waren. In der Schweiz konnten in der Lohnrunde 2023 Lohnerhöhungen zwischen 2 und 3 Prozent erreicht werden, was den Nachholbedarf bei der Kaufkraft wenigstens zu einem Teil ausgleicht. Da die Inflation im laufenden Jahr aber voraussichtlich nur wenig zurückgehen wird, ist schon jetzt mit weiteren Kaufkraftverlusten zu rechnen. Die Gewerkschaften sind also stark gefordert.

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