Sandra Künzi lebt und büglet in Bern. Sie mag Jassen, Schafe, Feuer und Bier. Zurzeit bereitet sie sich und uns auf den Frauenstreik vom 14. Juni 2023 vor: Ahoi!
Kürzlich hab ich geträumt, dass mich ein reicher Typ fragt, ob ich ihn begleiten möchte, und ich begann ganz laut zu schreien. Das klang so echt und laut, dass ich davon aufwachte und merkte, das Schreien kommt ja gar nicht von mir, sondern vom Baby von Carina, meiner Nachbarin. Weil das Baby nicht aufhörte, konnte ich nicht mehr einschlafen. Nach drei Stunden bin ich mal rüber und hab geläutet (morgens um vier). Carina sah fix und fertig aus. «Soll ich dich ablösen?» fragte ich, weil ich ja eh nicht mehr schlafen konnte. Sie schüttelte den Kopf wie ein kaputter Roboter, und ich dachte, gleich fällt sie um. Aber sie blieb stehen mit diesem krassen Roboterblick wie im Film «Die Frauen von Stepford», und ich wusste nicht, was tun. Carina wusste auch nicht weiter, obwohl sie sonst immer super parat ist.
HEINOMAL! Sie ist alleinerziehend und hat zwei oder drei Teilzeitjobs, und manchmal bringt sie mir sogar frisch gebackenen Zopf. Einfach so. Was würde Schagge jetzt tun? Sie würde sagen: «Die gute Frau muss mal was Rechtes essen. Eine 70-Stunden-Woche und schlaflose Nächte, das haut jeden Bauarbeiter um!» Ich nickte, obwohl Schagge ja gar nicht da war. Aber Schagge redete sogar in meiner Vorstellung einfach weiter: «Ausserdem braucht es endlich Mutterschutz vor der Geburt und eine Elternzeit! Die Schweiz ist so was von familienfeindlich, das glaubt man gar nicht!» Doch, ich glaubte es sofort mit Blick auf Carina. «Und bezahlbare Kitas oder einen Lohn für Mütter, heinomal. Die Schweiz ist auf dem viertletzten Rang, und die Mütter sind am Ende!» Das Baby schrie.
MAMMA MIA! Ich schob Carina in meine Wohnung und setzte einen Topf Wasser auf. Jetzt bloss nicht über Kinder oder Geld reden. «Schaust du gern Filme?» Keine Reaktion. «Krimis?» Schulterzucken. «Science-Fiction?» Kopfschütteln. «Komödien?» So was wie ein leichtes Nicken. Sehr gut, sie konnte ihren Kopf noch bewegen. Ich stellte zwei Teller Spaghetti und meinen Laptop mit zwei Kopfhörern hin. Das Baby schrie weiter. Wir schauten «Pretty Woman» und assen. Wir lachten, vor allem bei der Schmuckschachtel-Szene, schnapp, und wir weinten vor Glück beim Happy End. Aber nicht weil Richard Gere Julia Roberts küsste, sondern weil genau dann das Baby eingeschlafen war. Unglaublich. Ich flüsterte «Wie heisst es eigentlich?» Carina grinste: «Julia.» Sie schleppte sich mit letzter Kraft auf mein Sofa und schlief ein. Ich ging auch ins Bett. Was für eine Nacht, Mamma mia!
Vielen Dank für diesen Beitrag! Sie bringen die Situation eindrücklich auf den Punkt.