Laura Gonzalez Martinez ist Verkäuferin in Zürich und Gewerkschafterin.
Ich stehe da und bestaune den neuen Arbeitsplan, der ist grossartig: Ich darf dann und wann eine Stunde früher gehen. Yeah! Jetzt ist Badi-Wetter! Sofort mache ich Pläne, wie ich diese Zeit nutzen kann: in den See springen, Freunde treffen, zeichnen oder mal den vollgestopften Keller ausmisten. Super! Das gilt nicht nur für mich, meine Gspönli dürfen auch in der Spätschicht ein oder zwei Stunden später kommen.
Der Konzerngewinn ist jedes Jahr grösser — wir aber immer kaputter.
SPAREN, SPAREN. Doch schon folgen die bitteren Fragen: Was ist mit den Minusstunden? Die werden wir irgendwie und irgendwann abrackern. Und meine Aufgaben? Die muss ich jetzt in kürzerer Zeit erledigen. Denn: Liegen lassen kann ich meine Arbeit nicht, die anderen haben auch keine Zeit dafür. Und ich lege Wert darauf, meine Abteilung fertig und sauber abzugeben, jeden Tag. Und überhaupt: Warum kürzen sie uns die Arbeitszeit? Weil wir Personalkosten sparen müssen. Immer das gleiche leidige Thema. Sparen, sparen, sparen. Mir scheint, bei den Mitarbeitenden wird immer zuerst gespart. Der Konzerngewinn ist jedes Jahr grösser – wir aber immer kaputter. Und die Arbeit wird nicht weniger.
HÄNDE HOCH. Die gleiche Anzahl Rollis stehen im Lager und warten auf mich. Regelmässig kommt mir der Spruch einer Arbeitskollegin in den Sinn. Sie stand verschwitzt im Laden und rief laut: «Das und dies und jenes muss ich noch machen. Ich bin kein Oktopus! Eins und zwei!» Und hielt ihre Hände hoch. Ja, wir haben nur zwei Hände, und unsere Energie ist nicht endlos. Recht hat sie. Ich fand es in diesem Moment recht amüsant, weil sie so witzig gestikulierte. Aber schnell verging auch mir das Lachen.
NIEMAND GEWINNT. Auch unsere Chefinnen kommen ins Schwitzen, denn die Planung der Schichten bereitet ihnen noch mehr Kopfzerbrechen, und trotzdem muss alles immer schneller gehen. Den ausufernden Druck und den Stress bemerken nicht nur wir, sondern auch die Kundinnen und Kunden, finde ich. Sie blicken in unsere müden und gestressten Gesichter. Der Small Talk mit unseren Stammkundinnen wird knapper. Kurz gesagt: im Laden gewinnt niemand. Und noch frustrierender ist’s, wenn dann dem Unternehmen auch noch die Forderungen nach kleinsten Lohnerhöhungen zu viel sind. Deshalb freue ich mich umso mehr, sind am 14. Juni so viele Menschen in der ganzen Schweiz auf die Strasse, um für mehr Respekt, mehr Lohn und auch für mehr Zeit zu kämpfen. Denn was nützt mir die zusätzliche freie Stunde, wenn ich mich nach Feierabend nur noch fix und fertig aufs Sofa fallen lasse und keine Energie mehr habe, weder für Badi, Zeichnen noch Freunde treffen.