Gilles Sciboz von der Unia-Rechtsabteilung beantwortet Fragen aus der Arbeitswelt.
Meine Mutter arbeitet seit zehn Jahren in derselben Firma und möchte sich beruflich weiterentwickeln. Nun hat sie eine Stellenausschreibung entdeckt, die diesem Bedürfnis entsprechen würde. Sie benötigt für ihre Bewerbung aber ein Zwischenzeugnis von ihrem aktuellen Arbeitgeber. Hat sie Anspruch darauf?
KEINE GRÜNDE: Wer ein Zwischenzeugnis möchte, muss der Chefin oder dem Chef nicht sagen, warum. (Foto: Shutterstock)
Gilles Sciboz: Während des Arbeitsverhältnisses haben Mitarbeitende immer dann das Recht auf ein Zwischenzeugnis, wenn besondere Umstände vorliegen wie zum Beispiel ein Vorgesetztenwechsel, eine Stellensuche oder ein Betriebsübergang. In diesen Fällen ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein Zwischenzeugnis auszustellen, wenn dies von Mitarbeitenden gewünscht wird. Um ein Zwischenzeugnis bitten können Angestellte aber jederzeit. So sieht es das Gesetz vor (Art. 330 a OR). Dabei ist wichtig zu wissen, dass das Anliegen gegenüber dem Chef oder der Chefin nicht begründet werden muss.
Im Fall von Ihrer Mutter heisst das Folgendes: Sie hat Anspruch auf ein Zwischenzeugnis, damit sie ihre Bewerbung vervollständigen kann. Der Grund, warum sie das Zeugnis braucht, muss sie ihrem Arbeitgeber aber nicht mitteilen.
Zu beachten ist, dass es kein Recht auf eine regelmässige Ausstellung eines Arbeitszeugnisses gibt.
Probezeit: Darf sie ein zweites Mal angesetzt werden?
Meine Schwester hat einen dreimonatigen Arbeitsvertrag mit einer Arbeitsvermittlungsfirma abgeschlossen. Nun wird sie nach Ablauf dieser Zeit von der Einsatzfirma mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag angestellt. Dieser unbefristete Arbeitsvertrag sieht eine dreimonatige Probezeit vor. Darf die Einsatzfirma eine Probezeit festlegen, obwohl meine Schwester bereits drei Monate für sie gearbeitet hat?
Gilles Sciboz: Im Normalfall besteht die Probezeit nur für ein neues und erstmaliges Vertragsverhältnis zwischen den beteiligten Parteien. Wenn zwischen ihnen zwei Arbeitsverträge unmittelbar oder in kurzem Abstand aufeinanderfolgen, ist eine neue Probezeit unzulässig, wobei zu beachten ist, dass ein unbezahlter Urlaub die gegenseitigen vertraglichen Verpflichtungen aussetzt, aber den Vertrag nicht beendet. Stellt jedoch eine Einsatzfirma eine temporäre Mitarbeiterin fest ein, ist eine neue Probezeit zulässig, sofern die Vertragsparteien unterschiedlich sind. Das ist bei Ihrer Schwester der Fall: Obwohl sie nun die gleichen Aufgaben im gleichen Betrieb hat, darf die Einsatzfirma eine neue Probezeit festlegen, denn: im neuen Vertrag ist nun sie als Arbeitgeberin vermerkt und nicht mehr das Temporärbüro.