Knapp vier Monate nach dem letzten Streik stehen auf dem Rastplatz Gräfenhausen wieder Dutzende LKW still. Die Fahrer verlangen ihren Lohn. Und wieder ist die bestreikte Firma die polnische Mazur-Gruppe.
FRISCHES FÜR DIE STREIKKÜCHE: Die Fahrer wollen so lange auf der Raststätte ausharren, bis der Chef ihnen das geschuldete Geld überwiesen hat. (Foto: Keystone)
Im April hatten 65 osteuropäische Trucker auf dem Rastplatz bei Darmstadt einen denkwürdigen Sieg errungen. Nach fünf Wochen Streik gab die Mazur-Gruppe nach und bezahlte insgesamt 303 363 Euro und 36 Cent an ausstehenden Löhnen aus.
Damals sagte der niederländische Gewerkschafter Edwin Atema im work-Interview: «Andere haben gesehen, dass es möglich ist, sich zu wehren. Deshalb erwarte ich einen heissen Sommer.» Und er hat schnell recht bekommen. Schon Mitte Juli kamen erneut Trucker nach Gräfenhausen, um ihre Löhne einzufordern. Zunächst reagierte Mazur überraschend konstruktiv und zahlte etwa ein Dutzend Fahrer aus. Daraufhin kamen viele weitere. Anna Weirich vom gewerkschaftlichen Beratungsnetzwerk «Faire Mobilität» sagt zu work: «Es ist eine ziemliche Dynamik entstanden.» Die Raststätte sei «eine Art Mythos» geworden, der die Fahrer motiviere, ihre Rechte einzufordern.
NICHT VEREINZELN LASSEN
Mittlerweile stehen etwa 150 Trucker aus Georgien, Tadschikistan, Usbekistan, Kirgistan und Kasachstan in Gräfenhausen. 20 Lastwagen mit wichtiger Fracht haben sie Ende Juli herausgegeben, weil Mazur versprach, unter dieser Bedingung alles zu bezahlen. Doch der Unternehmer brach wieder einmal seine Zusagen. Die Fahrer haben daraus gelernt. «Wir haben beschlossen, nicht mehr einzeln, sondern kollektiv zu verhandeln», sagt der Usbeke Timur Sultanov *. «Wir müssen solidarisch sein. Wenn einer nicht bezahlt wird, bleiben wir alle hier.»
Wie im April haben die Fahrer Edwin Atema dazu bestimmt, die Gespräche mit Mazur zu führen. Doch bis Redaktionsschluss dieser work-Ausgabe verweigert die Firma Verhandlungen. Stattdessen reichte Mazur Strafanzeige ein, «wegen Erpressung». Doch Atema lässt sich davon nicht beeindrucken: «Die Fahrer wollen niemanden erpressen, sondern lediglich für ihre Arbeit entlohnt werden.» Und der Georgier Nika Giorgadze* betont: «Wir haben nur eine einzige Forderung: dass unser Gehalt bezahlt wird, wie es vereinbart wurde – keine zusätzlichen Zinsen, nur das, was uns zusteht.» Ihm selbst schulde Mazur 4600 Euro. «Seit zwei Monaten kann ich meiner Frau und meinen vier Kindern kein Geld schicken», berichtet der 49jährige. «Meine Brüder helfen ihnen, aber das geht auf Dauer nicht. Ich brauche dringend das Geld.»
«Wenn einer nicht bezahlt wird, bleiben wir alle.»
BUSSEN IN DER SCHWEIZ
Rustam Yusunov * hat ebenfalls drei Kinder zu versorgen. Er ist aus der Schweiz nach Gräfenhausen gekommen, weil er über Chatgruppen erfahren hat, dass es hier Unterstützung gebe. Wie viele seiner Kollegen erzählt er, dass Mazur in der Vergangenheit immer wieder ungerechtfertigt Beträge vom Gehalt abgezogen habe. «Uns wird keine Unterkunft bezahlt, deshalb müssen wir im LKW schlafen», so der Usbeke. «Wenn wir in der Schweiz dabei erwischt werden, kostet das jedesmal 45 Euro, die Mazur vom Lohn abzieht.» Wie in der EU gilt auch in der Schweiz seit 2022 ein Kabinenschlafverbot: Für ihre wöchentlichen Ruhezeiten muss den Fahrern eine Unterkunft zur Verfügung gestellt werden. Das Gesetz dient dem Schutz der Beschäftigten. Doch Mazur hält sich nicht daran – und wälzt die Strafen auf die Fahrer ab. Roman Künzler ist bei der Unia für die Logistik- und Transportbranche zuständig und sagt: «Es ist eine Frage der Würde, dass alle Fahrer, die in der Schweiz übernachten, eine anständige Unterkunft mit fliessendem Wasser haben und der Arbeitgeber dies bezahlt.» Und: «Es ist ein Skandal, wenn Firmen das übergehen und die Bussen auch noch auf die Chauffeure abwälzen. Die Kontrollbehörden müssen Wege finden, die Regeln durchzusetzen und die Arbeitnehmenden zu schützen.»
Wie Mazur Arbeitsschutzgesetze umgeht, zeigt noch ein weiteres Beispiel. Edwin Atema berichtet: «Wir haben Dokumente vorliegen, mit denen Beschäftigte auf ihr Recht verzichten, höchstens vier Wochen im Einsatz zu sein. Sie mussten das Dokument unterschreiben, wussten aber gar nicht, was drinsteht, weil es in einer ihnen fremden Sprache verfasst ist.»
«SCHANDE FÜR GANZ EUROPA»
Der Trucker-Protest in Gräfenhausen bringt den systematischen Gesetzesbruch im europäischen Güterverkehr an die Öffentlichkeit. «Dass wir nach drei Monaten wieder hier stehen müssen, ist eine Schande für ganz Europa», findet der georgische Lastwagenfahrer Nikoloz Maisuradse*, der schon im April beim Streik dabei war. Seit damals hat Mazur dem Familienvater kein Gehalt mehr überwiesen. «Er steckt sich das Geld in die Tasche, das für unsere Kinder bestimmt ist. Wir brauchen Hilfe, damit diese Sauerei aufhört.»
*Namen geändert