Zehn Menschen, zehn Geschichten: Das Zürcher Landesmuseum zeigt eine bewegende Ausstellung über Heimat, Fremdenhass und «Dolce Vita».
HIELTEN DEN BETRIEB AM LAUFEN: Italienische Fabrikarbeiterinnen vor der Konservenfabrik Hero in Frauenfeld, 1952. (Foto: Schweizerisches Nationalmuseum / ASL)
Die Italienerinnen und Italiener sind die grösste Einwanderungsgruppe in der Schweiz. Dank ihnen sind Pizza, Pasta und ein bisschen «Dolce Vita» fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Und noch viel mehr: Die Migrantinnen und Migranten haben die Schweiz mit ihrer harten Arbeit geprägt. Und dabei noch härtere Diskriminierung erfahren. Darüber sprechen zehn Menschen mit italienischen Wurzeln in der Ausstellung «Italianità» im Zürcher Landesmuseum.
Angekommen am Bahnhof Brig, mussten sich die Menschen ausziehen und untersuchen lassen.
Darunter auch Unia-Mitglied Nunzio, ein Malermeister, wie er im Bilderbuch steht. Schon mit 11 Jahren begann er in Italien den Pinsel zu schwingen. Mit 18 beschloss er, in die Schweiz auszuwandern. Nach seiner Ankunft am Bahnhof Brig erlebte Nunzio einen erniedrigenden Moment, den er nie vergessen wird: Er musste sich ausziehen und untersuchen lassen. Nur die gesunden Italiener erhielten Zutritt in die Arbeitswelt.
Doch das war nicht sein erstes Mal in der Schweiz. Bereits als Kind lebte er mit seinen Eltern in St. Gallen, jedoch nicht legal. Nunzio gehörte nämlich zu den versteckten Kindern ohne Aufenthaltsbewilligung. Diese Umstände zwangen die Familie, wieder in ihre Heimat zurückzukehren.
Nunzio ist gerne Maler, obwohl es ein harter und anstrengender Job ist. Als italienischer Saisonnier hatte er es nicht leicht: «Man musste aufpassen, was man sagt, wie man sich benimmt. Schliesslich war ich immer nur Gast», sagt er. Nach zehn Jahren bekam Nunzio schliesslich die C-Bewilligung, mit der er heute noch in Biel lebt. «Ich bin kein Schweizer. Ich bin einfach ein Italiener im Ausland», sagt der heute 69jährige.
«EINE SAUEREI!»
Zwischen Rosannas neuem Zuhause in der Stadt Zürich und ihrem Heimatdorf Zevio liegen 450 Kilometer. Mit 20 Jahren folgte sie ihrem Ehemann in die Schweiz. Was sie hierzulande damals antraf, hat die junge Italienerin schockiert. «Das Leben einer migrierten Frau bestand zu jener Zeit nur aus Mann, Familie und Fabrik», erinnert sich die heute 79jährige. Ihr wurde bewusst: «Weil ich gebildet war, hatte ich trotz meiner Herkunft gewisse Privilegien. Also machte ich es mir zur Aufgabe, den Schwächeren zu helfen.» So wurde sie Mitglied bei den «Colonie libere italiane». Der Verein wurde von Antifaschisten während des Zweiten Weltkriegs gegründet und setzt sich für ein besseres Leben für italienische Migrantinnen und Migranten in der Schweiz ein.
Wer Rosanna auf dem grossen Bildschirm im Landesmuseum beobachtet, sieht eine kühne und ernste Frau. Doch als sie über die fremdenfeindliche Schwarzenbach-Initiative spricht, die 1970 zur Abstimmung kam, kochen starke Emotionen in ihr hoch. «Das war eine absolute Sauerei! Eine Sauerei!» betont sie. Alle diese Ungerechtigkeiten führten dazu, dass sich Rosanna in der Schweiz zwar integrierte, aber immer auch kritisch blieb.
ZURÜCK IN DIE HEIMAT
«Du warst da, aber du hast gestört.» So empfand Gema, als sie in die Schweiz migrierte. In einer Fabrik, wo Plasticgriffe produziert wurden, arbeitete sie viele Jahre im Schichtbetrieb. Immer in einer anderen Schicht als ihre Nachbarin, damit sie sich mit der Kinderbetreuung unterstützen konnten. Als dann die Schwarzenbach-Initiative kam, wollte sie mit ihrer Familie das Land verlassen. Doch dann kam ihr pflege bedürftiges Kind zur Welt, und die Familie blieb in Jona SG. Heute ist sie der Schweiz sehr dankbar für die medizinische Unterstützung, die sie und ihr Kind erhielten.
Die Ausstellung zeigt, wie individuell Migrationsgeschichten sind. Für Ivan, einen jungen Mann aus Airolo, ist klar, dass er Schweizer ist. Er ist Secondo und «manchmal mehr Schweizer als alle anderen». Anders ist es bei Lara. Obwohl auch sie in der Schweiz zu Welt kam, fühlt sie sich ganz als Italienerin. Sie träumt von einem Haus am Meer in ihrer Heimat. Bei Pierre lässt sich die Frage, ob er nun Schweizer oder Italiener sei, nicht so einfach beantworten. Er sagt: «In Italien bin ich der Schweizer, in der Schweiz der Italiener.»
Online-Portal: Erzählen Sie Ihre Geschichte
Die Website unseregeschichte.ch bietet eine Plattform, um Geschichten und Dokumente von italienischen Einwanderern festzuhalten. Italienerinnen und Italiener sind eingeladen, hier Materialien aller Art im Zusammenhang mit ihrer Einwanderung zu veröffentlichen.
ERLEBBAR MACHEN. Damit will die Website die Italianità in der Schweiz sichtbar und erlebbar machen. Auch Tipps zur Esskultur, zur Musik, zum Sport und zum Alltag sind willkommen. (dak)