Die Kaufkraft der Lohnabhängigen schwindet rapid. Abzocker-Manager kennen dagegen keine Krise. Und die Grosskonzerne schütten Dividenden aus wie im Rausch. Die Lohnschere bleibt weit offen.
CLEVERER CLAN: Magdalena Martullo-Blocher taucht erst auf Platz 33 der Lohnschere-Rangliste aus. Sie bezahlt sich ein «bescheidenes» Gehalt von rund einer Million Franken aus. Darben muss sie aber trotzdem nicht, weil sie zusammen mit ihren Schwestern Hauptaktionärin ist. Der Blocher-Clan kassiert jährlich steuerbegünstigte Dividenden in der Höhe von mehreren Hundert Millionen Franken. Das ist mehr, als alle knapp 2700 EMS-Mitarbeitenden zusammen an Löhnen erhalten. (Foto: Marc Wetli / 13 Photo, iStock, Montage: work)
Über 15 Millionen Franken überwies die Roche ihrem CEO Severin Schwan im vergangenen Jahr. Das ist 307 Mal so viel, wie die schlechtestbezahlte Roche-Büezerin erhielt. Damit steht der Pharma-Konzern zum dritten Mal an der Spitze der Schweizer Unternehmen mit den grössten Lohnunterschieden (siehe Tabelle). Für Schwan persönlich wird es der letzte Spitzenplatz in dieser Rangliste der Schande gewesen sein. Nicht etwa, weil er plötzlich bescheidener geworden wäre, nein, er wechselte im April vom CEO-Sessel auf jenen des Verwaltungsratspräsidenten. Sein Nachfolger ist Thomas Schinecker. Möglicherweise schliesst sich darum im laufenden Jahr die Lohnschere bei Roche leicht. Denn – auch das eine Erkenntnis der Studienautoren: Kommt es zum Wechsel an der Spitze, erhalten die Nachfolgenden im Normalfall einen leicht geringeren «Anfangslohn».
Während die Chefs und Aktionärinnen weiter absahnen, ist die Lage der Geringverdienenden immer dramatischer.
IM SCHNITT 1:139
Seit 2005 untersuchen die Expertinnen und Experten der Unia die Lohnschere in grossen Schweizer Unternehmen. Für die eben erschienene neuste Ausgabe sind es 37 Firmen, 34 davon an der Schweizer Börse Six kotiert. Das entspricht rund einem Sechstel aller börsenkotierten Unternehmen in der Schweiz. Die Ergebnisse sind repräsentativ.
Im Schnitt beträgt die Lohnschere 1:139. Bei den zehn Unternehmen mit der grössten Lohnschere hat sich diese weiter geöffnet. Die Ausschüttungen an die Aktionärinnen und Aktionäre erreichen beinahe die Höhe des Rekordjahres 2021. Gesunken sind dagegen die Tieflöhne. Nominal stiegen sie zwar um knapp
1 Prozent. Bei einer Jahresteuerung von 2,8 Prozent entspricht das einem Reallohnverlust von 1,9 Prozent.
OBEN DAMAST UND BROKAT …
Im Vergleich zum Vorjahr sind die Unternehmensgewinne zwar leicht zurückgegangen. Sie liegen aber immer noch massiv über jenen der Jahre 2018, 2019 und 2020. Die Dividendenausschüttungen sind dagegen trotz der leichten Gewinn-Delle ein weiteres Mal gestiegen – um 2,5 Milliarden auf 44 Milliarden Franken. Und auch die Aktienrückkäufe nahmen zu. Korrigiert um den ausserordentlichen Aktienrückkauf bei Roche 2021 um ganze 63 Prozent.
Von den 34 untersuchten börsenkotierten Unternehmen erhielten die Aktionärinnen und Aktionäre rund 76 Milliarden Franken. Die Spitzenreiter im Ausschütten gehören alle auch zu den Spitzenreitern bei der Lohnschere. Insgesamt schütteten Nestlé (Lohnschere 1:202), Novartis (1:190), Roche (1:307) und UBS (1:243) über
51 Milliarden Franken an ihre Besitzenden aus.
… UNTEN HUNGERTUCH
Während oben also Phantasielöhne bezahlt und die Aktionärinnen und Aktionäre mit Dividenden überschüttet werden, ist die Situation für Geringverdienende immer dramatischer. Der Schweizer Medianlohn (die Hälfte verdient mehr, die andere weniger) liegt bei jährlich 79 980 Franken. Ein Lohn von weniger als zwei Dritteln davon gilt als Tieflohn. Das sind rund 53 300 Franken beziehungsweise 13 Monatslöhne à 4100 Franken. Der Median-Tiefstlohn liegt bei den untersuchten Unternehmen noch tiefer, bei rund 51 180 Franken. Also bei 13 Monatslöhnen von rund 3937 Franken. Oder einem halben Schwan-Stundenlohn.
Die ganze Studie kann hier gratis heruntergeladen werden.