Tieflohnzone Detailhandel: Trotz steigenden Gewinnen verdienen die Mitarbeitenden real weniger
Bessere Löhne wären kein Problem für Detailhändler wie Migros, Coop und Co.

Während der Coronakrise steigerten die Detailhändler ihren Gewinn, danach erhöhten sie die Preise. Nur die Löhne gingen real zurück. Jetzt zeigen aktuelle Zahlen: Deutliche Lohnerhöhungen wären für die Firmen ohne weiteres verkraftbar.

LEISTUNG ZAHLT SICH NICHT AUS: Angestellte im Detailhandel stemmen immer mehr Arbeit, bei gleichem oder sogar weniger Lohn. (Foto: Keystone)

Seit Corona geht es dem Detailhandel gut. Über drei Jahre ist es her, da entdeckte die Schweiz das Home-Office und das Brotbacken, die Beizen mussten schliessen, der Einkaufstourismus im nahen Ausland kam zeitweise zum Er­liegen. Das liess die Kassen der Gross­verteiler klingeln: Die Umsätze von Coop und Migros schossen kräftig in die Höhe – und blieben auf hohem Niveau stabil.

GEWINNE OHNE ENDE

Aktuell liegen die Lebensmittel­umsätze der Branche bei neun Prozent über dem Vor-Corona-­Niveau. Auch die Gewinne kletterten nach oben: Coop konnte im vergangenen Jahr sogar den Rekord von 2021 noch einmal toppen und erzielte 562 Millionen Franken Gewinn, bei der Migros resultierte ein Plus von 459 Mil­­­lionen. Doch von den Traumergeb­nissen kommt immer weniger bei den Mitarbeitenden an.

David Gallusser, Ökonom beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), hat die Zahlen der Branche analysiert. Das Fazit zu den Löhnen: Zwar sind sie in den letzten vier Jahren um ins­gesamt 4 Prozent gestiegen. Doch die Teuerung betrug im gleichen Zeitraum 5 Prozent. Gallusser hält fest: «Gemessen an der Kaufkraft, haben die Arbeitgeber die Löhne um 1 Prozent gesenkt.»

Er hat auch untersucht, was eine generelle Lohnerhöhung auf 2024 für die Unternehmen bedeuten würde. Und er rechnet vor: Coop, Migros und Co. können die Löhne für alle Mitarbeitenden weit stärker anheben als die Teue­rung – und zwar ohne dass sie die Preise in den Läden erhöhen müssen. Sie machen dabei immer noch Gewinn – einfach ein bisschen weniger. Konkret: Die Gewinnmarge vor Zinsen und Steuern lag letztes Jahr bei 2,5 Prozent für Coop und 2,1 Prozent für die Migros. Gallusser: «Bei einer Lohnerhöhung von 5 Prozent würde Coop immer noch eine Marge von über 1,5 Prozent erzielen. Und auch Migros bliebe profitabel, mit einer Marge von rund 1 Prozent.»

Auch bei 5 Prozent höheren Löhnen, wie sie die Unia fordert, machen die Detailhändler noch Profit.

PREISFAKTOR KRIEG

Selbst wenn sie ihren Gewinn nicht schmälern wollen, sondern die höheren Personalkosten frech auf die Kundschaft abwälzen, hätte dies nur wenig Einfluss auf die Preise im Laden. Auch hier hat Gallusser gerechnet: Seit Anfang 2020 sind die Kosten der Lebensmittel-Detailhändler um 8,9 Prozent angestiegen – aber vor allem wegen höherer Einkaufspreise seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Die Löhne sind nur gerade für 0,5 Prozent des Kostenanstiegs verantwortlich. Also würden auch sub­stanzielle Lohnerhöhungen, wie sie die Gewerkschaften jetzt fordern, die Kon­sumentinnen und Konsumenten kaum stärker belasten.

Verkraftbar sind höhere Löh­­ne im Detailhandel also. Gerechtfertigt sowieso. Denn die Produktivität in der Branche ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Etwa durch den zunehmenden Einsatz von Technologie an Kassen, in Verteilzentren und entlang der Lieferketten. Sowie durch Verdichtung der Arbeit, wenn Filialen zu gewissen Zeiten weniger Personal einsetzen. Wachstum steigert die Produktivität ebenfalls – die Firma kann Fixkosten senken. So kaufte Coop 2021 die Baumarkt-Kette Jumbo und legte sie mit der eigenen Marke Bau + Hobby zusammen.

Die Produktivität lässt sich errechnen aus der Wertschöpfung einer Firma im Verhältnis zur Anzahl Vollzeitstellen. Gallusser schätzt, dass die Produktivität im gesamten Detailhandel allein zwischen 2019 und 2022 um 6 Prozent zugenommen hat. Er bringt es auf den Punkt: «Die Arbeitnehmenden leisten mehr, bekommen real aber weniger Lohn.»

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