Gleichberechtigung in der Kunst? Denkste! Künstlerinnen üben scharfe Kritik am patriarchalischen Kunstbetrieb.
AUS DEM KELLER ANS LICHT: Das Künstlerinnenkollektiv Hulda Zwingli durchforstete die Sammlung des Kunsthauses Zürich nach Werken von Malerinnen. Die Ausbeute: zahlreiche Trouvaillen. (Foto: ZVG)
«Hulda Zwingli» ist eine Kunstfigur, ersonnen von einem Kollektiv von Zürcher Künstlerinnen. Und zwar just am 19. Juni 2019, dem Tag des Frauenstreiks. Die engagierten Feministinnen haben es auf den Kunstbetrieb abgesehen. Sie wollen aufzeigen, wie stark er von Männern dominiert ist und wie Frauen darin viel zu kurz kommen. Jetzt zeigt das Kollektiv im Zürcher Kunsthaus das Ergebnis einer grösseren Recherche.
Die neue Kunsthaus-Direktorin Ann Demeester hatte Hulda Zwingli aufgefordert, sich im Rahmen der neuen Reihe «ReCollect!» in den Tiefen der Sammlung des Kunsthauses umzusehen. Und was kam dabei heraus? Erschütterndes. Erst wollte Hulda Zwingli einmal männliche statt wie gewohnt nur immer weibliche Akte zeigen. Sie fand aber keine. Keinen einzigen! Ein klares Zeichen, wie stark in der Kunst seit Jahrhunderten der männliche Blick auf den weiblichen Körper dominiert. Dann wollte Hulda Zwingli wissen, wie es um die Malerinnen steht. Fazit: Nur gerade elf Prozent der Werke in den Kunsthaus-Ausstellungen stammten von Frauen. Alle anderen waren Männer. Gleichstellung der Geschlechter in der Kunst? Fehlanzeige.
Es fanden sich keine männlichen Akte im Archiv des Kunsthauses.
DER WIND HAT GEDREHT
«Müssen Frauen nackt sein, um ins Museum zu kommen?» So fragten einst provokativ die Guerrilla Girls, ein Künstlerinnenkollektiv so wie Hulda Zwingli. Bis jetzt fruchteten solche Interventionen wenig. Doch jetzt, so scheint es zumindest, hat der Wind gedreht. Im Zuge des Skandals um die Bührle-Raubkunst ist das freisinnige Zürcher Establishment in die Defensive geraten. Und im Kunsthaus weht plötzlich ein neuer Wind. Endlich hat auch kritische Kunst dort Platz. Sogar solche, die explizit den Kapitalismus und seine weltumspannende Herrschaft in Frage stellt.
Genau dies führt uns die peruanische Künstlerin Daniela Ortiz (*1983) vor. Sie erinnert in ihren Werken an die aufständischen Bauern sowohl im globalen Süden wie auch in Europa. Bauern, die sich gegen die Enteignung ihres Bodens und ihre Knechtung durch eine feudalistische Oberschicht wehrten und dabei meist brutal unterdrückt wurden. Ortiz nennt vergessene Namen wie den Befreiungstheologen Camilo Torres aus Kolumbien oder Thomas Müntzer, der im 16. Jahrhundert einen Bauernaufstand in Deutschland befeuerte und darauf hingerichtet wurde. In ihrer politisch aufgeladenen Kunst gedenkt Ortiz der Opfer des europäischen Kolonialismus. Und daran, dass eine alte Forderung immer noch aktuell ist: Das Land sollte denen gehören, die es bestellen. Und nicht profitorientierten Konzernen, reichen Familiendynastien oder raffgierigen Potentaten.
MALERINNEN NEU ENTDECKT
Hat man so etwas im Zürcher Kunsthaus, dem Tempel des Schönen des Zürcher Bürgertums, schon mal gesehen? Gewiss nicht. Hulda Zwingli und Daniela Ortiz, aber auch neue Werke von Matias Faldbakken und Ida Ekblad bilden einen lebendigen Kontrapunkt zur konservativen Sammlung alter Meister. Ohne die feministischen Provokationen wäre es wohl nie so weit gekommen. Dank Hulda Zwingli kennen wir jetzt auch Malerinnen wie Sophie Schäppi, Grandma Moses, Alice Bailly oder Helen Dahm, deren Werke kaum je gezeigt wurden. Helen Dahm (1878–1968) war zum Beispiel die erste Frau, die den Zürcher Kunstpreis gewann. Aber sie fristete eine kümmerliche Existenz und war im Alter sogar auf die Hilfe von Freunden angewiesen, um zu überleben.
«Es gibt noch viel zu entdecken», sagt Hulda Zwingli zu Recht. Und fügt selbstironisch bei: «Bevor Hulda auf dem Scheiterhaufen landet.» Sorgen wir dafür, dass das nie passieren wird.
Ausstellung ReCollect! derzeit im Zürcher Kunsthaus (Moser-Bau).