Jean Ziegler
Ein Militärputsch jagt den anderen. Die neokolonialen Regime stürzen, die Frankreich bis anhin eine profitable wirtschaftliche und finanzielle Ausbeutung der Völker seines ehemaligen Kolonialreiches auf dem afrikanischen Kontinent ermöglicht hatten.
PUTSCH UM PUTSCH. Mai 2020: In Mali jagt eine Militärjunta den gewählten Präsidenten Boubacar Keïta aus dem Amt. Ein Jahr später stirbt der Staatschef von Tschad, Idriss Déby, im Kampf gegen nördliche Rebellen. Der Parlamentspräsident tritt gemäss Verfassung die Nachfolge an. Der Sohn des Gefallenen, Mahamat Déby, stürzt den legitimen Nachfolger.
September 2021: In Guinea werfen Soldaten einer Eliteeinheit Alpha Condé aus dem Präsidentenpalast. In Burkina Faso putscht Hauptmann Ibrahim Traoré gegen den demokratisch gewählten Staatschef Roch Marc Christian Kaboré.
Gleiches Szenario in Niger im Juli 2023. Der Kommandant der Präsidialgarde, General Abdourahamane Tiani, wirft den erst vor fünf Monaten gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum samt seiner Familie ins Gefängnis. Bazoum demissioniert nicht und wird gefoltert.
August 2023. Im Erdölemirat Gabun, wo seit 47 Jahren die Dynastie der Bongo herrscht, wird Präsident Ali-Ben Bongo Ondimba im Schlaf überwältigt. Ein obskurer Oberst übernimmt die Macht.
Gelingt der Bruch mit Paris, kommen die riesigen Reichtümer endlich den Menschen in Afrika zugute.
WILLKÜR. Ich schreibe diese Zeilen Anfang September. Wer ist der nächste Staatschef, der stürzt? Wahrscheinlich jener von Kamerun. Paul Biya regiert das wunderschöne und reiche Land seit 34 Jahren, dank dem effizienten französischen Geheimdienst. Das Volk erträgt seine Korruptions- und Willkürherrschaft seit langem nicht mehr.
Kein Militärregime ist mir sympathisch. Gewählte, demokratische Regierungen – auch wenn sie Fehler haben – ziehe ich vor. Wenn es jedoch um das französische Neokolonialreich geht, ändere ich meine Meinung. Wir müssen diese Militärputsche unterstützen. Warum?
HOFFNUNG. Viele der eine Milliarde zählenden Menschen in Subsahara-Afrika leben in fürchterlichem Elend. Afrika hat die schlimmsten Hungerzahlen der Welt: 35 Prozent dieses von fruchtbaren Böden und ausserordentlich arbeitsamen und kompetenten Menschen gesegneten Kontinents vegetieren in permanenter, schwerer Unterernährung. Unter dem Druck des algerischen Befreiungskrieges (1954 bis 1962) gewährte General Charles de Gaulle – Frankreichs Staatspräsident ab 1958 – die Dekolonialisation der französisch beherrschten Länder südlich der Sahara. Diese erhielten eine eigene Flagge, eine Verfassung und eine gewählte Regierung. Die ganze wirtschaftliche und finanzielle Macht blieb aber in der Hand der Konzerne in Paris. Verteidigungsverträge und französische Militärbasen sorgen für das französische Gewaltmonopol der Pseudostaaten.
Wir erleben eine Zeitenwende. Hoffnung blüht auf. In den Pseudodemokratien wird reale, täglich gelebte Souveränität zu einem konkreten politischen Projekt. Die Pariser Konzerne plündern Afrika – das Gold in Mali, das Bauxit in Guinea, das Erdöl in Gabun, das Uranium in Niger. Gelingt der Bruch mit Paris, kommen diese riesigen Reichtümer endlich den Menschen in Afrika zugute. Und das ist gut so.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam im Frühling 2022 als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.