Roland Erne war Chemielaborant und GBI-Jugendsekretär. Seit 2017 ist er Professor für Europäische Integration und Arbeitsbeziehungen am University College Dublin.
Das Recht auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit gilt seit Jahren. Trotzdem verdienen Frauen in der EU noch immer viel weniger als Männer, nämlich 14,4 Prozent im Jahr 2018. Laut Eurostat lässt sich diese Lohndiskriminierung nur zu einem kleinen Teil mit strukturellen Faktoren erklären wie Alter, Bildung, Beruf, Berufserfahrung, Art des Arbeitsvertrags, Branche, Betriebsgrösse, Betriebsinhaber oder Betriebsort. Auch nach Berücksichtigung dieser Faktoren verdienten Frauen laut Eurostat in der EU noch 11,2 Prozent weniger als Männer.
RISIKO. Wieso versagt das bisherige Recht so kläglich, wenn es um den Lohnschutz für Frauen geht? Die Antwort liegt in den bisherigen Gesetzen: Die Frauen sind gezwungen, gegen ihre Arbeitgeber vor Gericht zu ziehen, wenn sie ihr Recht durchsetzen möchten. Solche Prozesse sind nicht einfach zu gewinnen, da Firmen ihre Löhne geheim halten können. Zudem müssen Klägerinnen auch mit Revancheaktionen ihrer Arbeitgeber rechnen. Zwischen 1996 und 2007 kam es daher in Deutschland nur zu 31 Lohngleichheitsprozessen, in Frankreich zu 16 und in Polen sogar nur zu einem einzigen! Auf Druck der Gewerkschaften verabschiedete die EU in diesem Mai deshalb eine neue Richtlinie «zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit».
Bisher blieb den Frauen nur der riskante Gang vor Gericht.
STÄRKUNG. Dieses neue EU-Gesetz stärkt die Lohntransparenz und die Durchsetzung der Lohngleichheit. Künftig hat jede Beschäftige das Recht, den Durchschnittslohn aller Beschäftigten zu erfahren, die im selben Betrieb eine gleichwertige Arbeit verrichten. Jeder Betrieb mit mehr als 100 Mitarbeitenden wird verpflichtet, regelmässig über das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu berichten. Zudem dürfen EU-Staaten künftig betriebliche Lohninformationen auch selbst zusammenstellen und veröffentlichen, und zwar auf Grundlage der Daten der Arbeitgeber für die Steuer- und Sozialversicherungsbehörden. Beträgt der Lohnunterschied mehr als fünf Prozent und kann dies nicht objektiv begründet werden, muss der Betrieb mit einer Arbeitnehmervertretung Abhilfemassnahmen vereinbaren. Zudem kann die Vergabe von öffentlichen Aufträgen künftig auch von der Durchsetzung der Lohngleichheit abhängig gemacht werden. Weitere Massnahmen wie eine Beweislasterleichterung oder ein besserer Schutz gegen Racheakte für Klagende stärken ebenfalls den Lohnschutz für Frauen und die Lohngleichheit.