Die Welt brennt, doch Banken und Regierungen fördern Öl, Kohle und Gas stärker denn je. Weil sie den wachsenden Widerstand der Bevölkerung spüren, behandeln sie Klimabewegte wie Terroristen.
Schockiert taucht Tristan Estaque auf: «Alles abgebrannt!» Hier, um die kleine Insel Maïre in der Bucht von Marseille, sind spektakuläre rote Korallenwälder zu bewundern. Doch das Wasser ist zu heiss geworden. Estaque: «Da unten sieht es aus wie nach einem gigantischen Feuer. Nur noch schwarze Stummel.»
Das Meer brennt. Die Welt brennt. In Kanada haben 6068 Grossfeuer in diesem Sommer die vierfache Fläche der Schweiz vernichtet. Bei Feuerstürmen auf Hawaii, in Algerien und in Griechenland starben Hunderte. Australien steht vor neuen Megafeuern – schlimmer als 2022.
Wo die Menschen nicht verbrennen, ertrinken sie. Nach dem Feuer kam in Griechenland die Sintflut. Pekings 24 Millionen stand das Wasser jüngst bis über den Kopf, in Pakistan mussten Hunderttausende aus Küstengebieten fliehen. Sturmfluten verschluckten in Libyen mehr als 2000 Menschen – 10 000 werden noch vermisst. In den Alpen und im Himalaya bricht der Berg. Taifune überall.
Selbst wenn die Politik willig wäre, finden im aktuellen Kapitalismus ökologische Massnahmen keine Mehrheiten…
1,3 MILLIONEN DOLLAR PRO MINUTE
So verdichtet sich die Litanei täglicher Meldungen zur Gewissheit: Wir sind an jenem Kipppunkt angekommen, vor dem klügere Köpfe schon 1960 warnten. Der Sommer 2023 war der heisseste der Menschengeschichte. Ganze Ökosysteme geraten beschleunigt aus dem Lot. Wir sind dabei, die Erde zu einem unbewohnbaren Planeten zu machen. «Letzte Generation» nennt sich eine der Gruppen der Klimabewegung, «Extinction Rebellion» (Rebellion gegen die Auslöschung) eine andere. Das steht für ein Lebensgefühl, inzwischen denkt nicht nur die Klimajugend: Heute gehe es um alles oder nichts. Die Menschheit rotte sich gerade selbst aus.
Der Vorwurf mancher, die Regierungen seien untätig, ist naiv. Das Gegenteil ist wahr, nur andersrum: 2022 haben sie Öl, Kohle und Gas mit mehr als 7000 Milliarden Dollar subventioniert. Jede Minute 1,3 Millionen Dollar öffentlicher Gelder für die Treibhausgase. Logisch, gehen die Profite der Ölkonzerne durch die Decke, logisch, wird mehr Gas in die Luft geblasen denn je. Ihre wortreich beschworene ökologische Wende haben die Regierungen in die Hände der Ölkonzerne gelegt. Die kommende Weltklimakonferenz im Dezember (sie ist schon Nummer 28) wird Ölscheich Sultan Ahmed Al Jaber leiten. Kein böser Witz.
LETZTE SCHMIERUNG
Nur liegen die Fakten inzwischen so eindeutig, dass die Konzerne und ihre Regierungen sie nicht mehr leugnen können (abgesehen von ein paar mit Ölgeld geschmierten rechtsextremen Klimaschwurblern). Also wird mit Milliardenaufwand die Show von der ökologischen Wende und technischer Lösungen inszeniert.
Eine kleine französische Chronik illustriert das. Zuerst berief Präsident Emmanuel Macron 150 Bürgerinnen und Bürger in einen Klimarat. Sie arbeiteten hart, doch Macron kübelte ihre Vorschläge. Dann behauptete er frech, niemand habe den raschen Klimawandel ahnen können (den die Regierungen angeblich seit der Konferenz von Rio 1992 bekämpfen). Worauf sein Umweltminister meldete, die Gesellschaft müsse sich auf plus 4 Grad einstellen. Apokalyptisch. Bei plus 4 Grad wächst kein Kraut mehr, mindestens eine Milliarde Menschen wären auf der Flucht (zum Vergleich: 5 Grad weniger bedeuten eine Eiszeit). Im Pariser Abkommen von 2015 hatten sich 195 Staaten auf maximal plus 1,5 Grad geeinigt. Schon schlimm genug.
Doch die Profite gehen vor. Als im März mehr als 30 000 gegen die Konfiszierung von Wasser durch die Agroindustrie protestierten, liess der Präsident sie mit 8000 Schock- und anderen Granaten zusammenschiessen, Hunderte wurden schwer verletzt. So gehe man mit «Ökoterroristen» um, sagte sein Innenminister. Die Anti-Terror-Direktion (SDAT) verhaftete seitdem Dutzende. Zu den «Aufständen der Erde» (SLT), welche die Demo organisiert hatten, bekennen sich 150 000 Menschen. Macron liess sie verbieten.
Überall, nicht nur in Frankreich, wird die Unterdrückung der Klimabewegung scharf hochgefahren. Deutsche, britische und andere Inlandgeheimdienste jagen «Extinction Rebellion», «Jugend fürs Klima», «Renovate», «Letzte Generation» usw. als «kriminelle Organisationen». Auch in Berlin sind Verbote auf dem Tisch.
…weil sie auf Kosten der unteren und mittleren Schichten gehen.
KLIMA-KLASSENKAMPF
Was macht die Militanten einer besseren Lebensform den Herrschenden so gefährlich? Mit den Grünen haben sie weniger Probleme. Die sprechen von «Klimakrise» und halten einen grünen Kapitalismus für machbar.
Anfänglich bettelte auch die Klimajugend um Einsicht der Konzerne und der Herrschenden in die Notwendigkeit, aus dem Öl auszusteigen. Doch über die Jahre führte sie der scharfe Kontrast zwischen offizieller Propaganda und ganz realer Klimakatastrophe zum Kern des Problems: Der Kapitalismus kann von seinen fossilen Produktionsformen nicht lassen, Überhitzung ist sein Geschäftsmodell, ökonomisch wie ökologisch.
Sogar die Klimaangst macht das Kapital jetzt zur Quelle neuer Profite. Das läuft unter dem Etikett «nachhaltige Investitionen». Die läppern sich inzwischen auf 100 000 Milliarden Dollar zusammen. Der kanadische Banker Tariq Fancy, 45, nennt es «den Betrug des Jahrhunderts». Dieses Genie der Finanzmärkte war Chef der grünen Investitionen beim weltgrössten Investmentfonds Blackrock (der auch mit unseren PK-Geldern spekuliert). Fancy war mächtiger als die meisten Staatschefs. Heute entlarvt er den Zynismus seiner Kolleginnen und Kollegen: «Die glauben kein einziges Wort ihres eigenen grünen Geredes.» Blackrock ist noch immer einer der grössten Ölinvestoren. Was ist schon der Weltuntergang, wenn sich damit noch fettes Geld machen lässt?
Deshalb sagt Lena Lazare, 23, von «Jugend fürs Klima»: «Ohne Umverteilung und soziale Gerechtigkeit ist jede ökologische Wende Illusion.» Genau, bestätigt der weltbekannte Ökonom Thomas Piketty: «Der ernsthafte Kampf gegen die Klimaerhitzung beginnt mit der tiefgehenden Rückverteilung der Vermögen.» Mit gerechten Steuern für die Reichen. Denn selbst wenn die Politik willig wäre, finden im aktuellen Kapitalismus ökologische Massnahmen keine Mehrheiten, weil sie auf Kosten der unteren und mittleren Schichten gehen.
Was Wunder, bauen Gruppen wie «Aufstände der Erde» heute Koalitionen mit kritischen Gewerkschaften, linken Parteien, Organisationen wie «Attac». Gemeinsam ist ihnen die wachsende Überzeugung, die «letzte Generation» zu sein, die es gerade noch richten könnte.
Nimmt die Katastrophe aber weiter Fahrt auf, dürften viele Menschen mit diesem selbstmörderischen Kapitalismus brechen wollen. Die Denkfabriken des Kapitals sehen einen Konflikt aufziehen, der die Radikalität früherer Klassenkämpfe übetrifft. Sie haben Grund zur Sorge.
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