Roland Erne war Chemielaborant und GBI-Jugendsekretär. Seit 2017 ist er Professor für Europäische Integration und Arbeitsbeziehungen am University College Dublin.
Seit 2012 können EU-Bürgerinnen und -Bürger direktdemokratische Initiativen unterschreiben. Und damit die EU-Kommission auffordern, ihre Politik zu ändern. Eine «Europäische Bürgerinitiative» (EBI) kommt zustande, wenn die Initianten eine Million Unterschriften zusammenbringen. Zwar muss die Kommission danach keine EU-weite Volksabstimmung organisieren, dennoch muss sie die EBI ernst nehmen und entsprechende Massnahmen prüfen. Welche konkreten Erfahrungen haben europäische Gewerkschaften bislang mit EBI gemacht?
RECHT AUF WASSER! Mit dieser Initiative verlangte der Europäische Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (EPSU), dass Wasser ein öffentliches Gut bleibt und keine Handelsware wird. Die EBI «Right 2 Water: Wasser und sanitäre Grundversorgung sind ein Menschenrecht!» war nicht nur die erste insgesamt, sie war auch die erfolgreichste. Sie wurde von über 1,8 Millionen EU-Bürgern unterschrieben. Dieser Erfolg war möglich, weil EPSU eng mit sozialen Bewegungen zusammenarbeitete. Nach diesem Erfolg gab die EU-Kommission nach, obwohl sie zuvor geplant hatte, die Wasserversorgung in der EU mittels einer neuen EU-Richtlinie zu kommerzialisieren.
Die Initiative «Right 2 Water» war die bisher erfolgreichste.
FAIRER TRANSPORT! Mit dieser Initiative verlangte die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF), der auch die Unia, der Vpod und der SEV angehören, «faire Arbeitsbedingungen» im Transportgewerbe – auf der Schiene wie auch auf der Strasse. Die ETF brachte jedoch nur rund 200 000 Unterschriften zusammen. Im Gegensatz zu EPSU verfügte die ETF nicht über ein breites Netz von Allianzen zu sozialen Bewegungen. Zudem lancierte die ETF ihre Initiative zu spät, die EU hatte das Transportgewerbe bereits weitreichend dereguliert. Auch diese Initiative richtete sich gegen die Kommerzialisierung. Dabei sprach sie jedoch von einem «fairen Wettbewerb», obwohl Wettbewerb immer Ungleichheiten schafft, wie «fair» er auch organisiert wird. Zudem fehlt es – nach jahrelanger Sparpolitik – oft schlichtweg an den Mitteln, um einen effektiven Service public zu finanzieren.
WANDEL GERECHT FINANZIEREN! Am 9. Oktober 2023 lancierte ein Bündnis um SP-Politikerinnen aus Belgien und Ungarn, Gewerkschafter aus Finnland, Oxfam-Aktivistinnen aus Dänemark, Marlene Engelhorn, eine linke Millionenerbin aus Österreich (siehe Seite 13), und den französischen Wirtschaftswissenschafter Thomas Piketty eine neue EU-Initiative. Diese fordert eine europäische Vermögenssteuer. Damit soll der ökologische und soziale Wandel sozial gerecht finanziert werden. Im Gegensatz zu schweizerischen Volksinitiativen können die EU-Bürgerinitiativen auch online unterschrieben werden. Hier unterschreiben (leider nur für EU-Bürgerinnen und -Bürger).