Jean Ziegler
Dienstag, 24. Oktober, im zweiten Stock des Uno-Wolkenkratzers am East River in New York. Der Sicherheitsrat ist zu einer Sondersitzung zusammengetreten. Uno-Generalsekretär António Guterres verlangt das Wort: «Kein Staat steht über dem Recht. Ich verlange einen Waffenstillstand aus humanitären Gründen.» Die Reaktion des israelischen Aussenministers Eli Cohen ist vehement: «Herr Generalsekretär, in welcher Welt leben Sie? Jedenfalls nicht in der unsrigen.» Noch am selben Abend fordert Cohen den Rücktritt von Guterres. Am nächsten Tag kündigt Israels Uno-Botschafter Gilad Erdan an, alle Visa der ausländischen Mitarbeitenden der UNWRA (Uno-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge) aufzuheben.
Die Chirurgen sind gezwungen, ohne Anästhesie Schwerverletzte zu operieren.
TIERE. Seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober bombardieren die israelische Marine, die Artillerie und die F-35-Jagdbomber Tag und Nacht Wohnquartiere, Moscheen, Spitäler, Bäckereien und Marktplätze in Gaza. Die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner von Gaza sind weniger als 18 Jahre alt. In einem Monat sind 11 000 Menschen getötet und 120 000 schwer verletzt worden.
Israel führt Krieg gegen die Hamas-Milizen. An der Zivilbevölkerung begeht Israel einen Völkermord, ein Genozid im Sinne des Artikels 6 des Römer Statuts von 1998. Das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte definiert Völkermord als die Ermordung einer Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer kollektiven ethnischen oder religiösen Identität.
Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant sagt: «Wir kämpfen gegen Tiere.»
(«Le Monde», 27. 10. 2023)
BESTIALISCH. Den Völkermord betreibt Israel mit neusten Waffen. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Gaza versuchen umsonst, sich zu schützen vor den weissen Dämpfen der Phosphorbomben und vor DIME-Granaten (Dense Internal Metall Explosifs). Die Chirurginnen und Chirurgen sind oftmals gezwungen, ohne Anästhesie Schwerverletzte zu operieren, denn seit dem 7. Oktober kommen keine Medikamente mehr nach Gaza. Die Verwundeten erleiden fürchterliche Schmerzen. Und Israel verbietet jeglichen Import von Treibstoff. Dieser ist unerlässlich für den Betrieb der Stromgeneratoren in den noch funktionierenden Spitälern. Der Ausfall der Generatoren bedeutet für die Patientinnen und Patienten der Intensivstationen, in der Dialyse und für die Säuglinge in den Inkubationsapparaten das Todesurteil.
Wer kann die israelische Mordmaschine stoppen? Alle westlichen Staaten, insbesondere die Schweiz. Unser Land besitzt ein grosses internationales Prestige. Es wurde 2022 ohne Gegenstimme in den Sicherheitsrat gewählt. In einer Demokratie trägt das Volk die letzte Verantwortung.Von uns allen hängt es ab, ob und wann dieser fürchterliche Völkermord ein Ende nimmt.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam im Frühling 2022 als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.
Zu Recht beklagt Jean Ziegler die völkerrechtswidrigen Handlungen der israelischen Staatsgewalt gegen die Zivilbevölkerung in Gaza. Die Massaker der Hamas an unbewaffneten Zivilpersonen, die Geiselnahme von Kindern und Rentner:innen sowie die völkerrechtswidrigen Raketen auf zivile Ziele bezeichnet Jean Ziegler jedoch bloss als «Angriff auf Israel». Das schockiert. Macht eine sofortige Kolumne-Pause ihn einsichtig? Bis Jean Ziegler sich glaubhaft bei uns allen und bei work dafür entschuldigt hat?
Guy Bollag, Zürich
Was Israel mit unverhältnismässigen militärischen Mitteln in Gaza anrichtet ist tatsächlich unerträglich. Jean Ziegler verurteilt es zurecht. Aber ich akzeptiere nicht, wenn er gleichzeitig das Massaker der Hamas-Terroristen u.a. in sozialistischen friedensbewegten Kibbuzim an Familien und Kindern ohne Kritik als „Angriff der Hamas“ verharmlost. Israels Reaktion darauf hingegen als „Völkermord“ zu bezeichnen, sollte nicht im ‚work‘ stehen. Zieglers Kolumnen sind in der Regel gut, diese wäre besser ungeschrieben geblieben.
Rolf Zimmermann, Bern
Völkermord in Gaza
Unser famoser Sozialdemokrat Jean Ziegler beschreibt die Vorkommnisse in Gaza logischerweise als Völkermord, in dem das kriminelle Duo USA-Israel einen Waffenstillstand kategorisch ablehnt. In Zieglers Bericht sucht man jedoch, so wie immer, vergebens nach dem Begriff USA. Als stiller Fan dieses Landes wettert er höchstens gegen den unsäglichen Trump, in dessen Amtszeit jedoch immerhin kein Krieg ausgebrochen ist. Einmal mehr äussert er sich als Vertreter des “Linken Arms des Imperiums“.