Mario Steiner arbeitet seit dem Jahr 2000 als Innendekorateur für das Schauspielhaus Zürich. Seither hat Steiner einen Streik erlebt und Hunderte Bühnenbilder mitgestaltet.
FÜR TAPEZIERER Mario Steiner (57) ist das Theater ein Arbeitsort und eine Lebensschule. (Foto: Mara Truog)
Mario Steiner ist Tapezierer. Das hat nichts mit einer Tapete zu tun, wie wir sie heute kennen. «Das kommt von einer sehr alten französischen Berufsbezeichnung: dem Tapissier. Eine Tapisserie ist nichts anderes als ein textiler Wandbehang», sagt er. Der Beruf sei im Mittelalter entstanden, als die Adeligen sich für ihre Burgstuben schwere Wandbehänge und Polstermöbel anfertigen liessen. Die bestickten Wandteppiche dienten zur Isolation und als Dekoration. Es sei ein aussterbender Beruf, den nur noch wenige lernen. Für das Theater hofft er auf genügend Nachwuchs für die Zukunft.
Steiner arbeitet seit 23 Jahren am Schauspielhaus Zürich. «Die nuller Jahre waren speziell. Der damalige Intendant Christoph Marthaler war berühmt für seine amüsanten musik- und gesangsgeprägten Inszenierungen.» In dieser Zeit habe er auch eine Kollegin gehabt, die das Gestalten von Räumen sehr ganzheitlich dachte und von der er sehr viel gelernt habe. «Sie hat sogar die Hinterseite der Bühne mitgedacht und teilweise gestaltet, damit die Schauspielerinnen und Schauspieler in der richtigen Stimmung auf die Bühne treten.»
WEG ZUM INNENDEKORATEUR. Steiner ist in Unterentfelden im Kanton Aargau aufgewachsen und hat eine Schreinerlehre gemacht. «Aber das war schon damals ein sehr mechanisierter und automatisierter Beruf, deshalb wollte ich noch etwas Handwerklicheres lernen.» Steiner machte eine Zusatzlehre als Innendekorateur und spezialisierte sich auf die Restaurierung von alten Schlössern und Möbeln. «Im Aargau gibt es so viele Burgen und Schlösser, da geht dir die Arbeit nicht aus.» Einen grossen Teil seiner Lehrzeit verbrachte er auf dem Schloss Lenzburg.
Am Schauspielhaus ist Steiner heute zusammen mit seinen zwei Teamkolleginnen Spezialist für die textile Bühnenausstattung: «Wir kreieren Möbel, Bühnenelemente, Bodenbeläge oder Vorhänge und Projektionsflächen.» Das Schöne an seinem Beruf sei, dass er die Theaterprojekte von der künstlerischen Idee bis zur Premiere begleiten könne und in immer unterschiedlichen Teams zusammenarbeite. Schreinerinnen, Schlosser, Malerinnen und Innendekorateure sind alle unter einem Dach und erschaffen für jedes neue Theaterstück einzigartige Bühnenbilder. «Ich finde diese permanenten Veränderungen wunderbar. Einen Fabrikjob könnte ich nicht machen.»
In der Bühnengestaltung habe sich in seiner Zeit am Schauspielhaus vieles verändert: «Der klassische Theaterbau existiert nicht mehr. Wir bewegen uns hin zu schnellen Schnitten und schnellen Veränderungen, mit Licht und Projektionen. So wie Social Media, das ist der Zeitgeist, die Mode.» Auch gesellschaftspolitisch sei das Schauspielhaus heute anders ausgerichtet als vor 20 Jahren: «Gender und Diversität sind grosse Themen, auf der Bühne und im Betrieb. Aber auch die aktuellen Kriege beschäftigen uns alle.» In der letzten Theatersaison hat ein Regisseur aus der Ukraine den Krieg in seiner Heimat im Stück «Antigone in Butscha» aufgenommen. In Anlehnung an die antike Tragödie «Antigone». Steiner findet es erstaunlich, welche Aktualität die Tragödien der alten Griechen bis heute haben.
Das Theater sei immer auch ein Spiegel der Gesellschaft und als Arbeitsort eine sehr gute Lebensschule. «Nichts ist für immer, alles ist vergänglich», fügt Steiner an. Das gelte am Theater ganz besonders, auch für die Bühnenbilder, die er in Handarbeit mitangefertigt habe.
THEATER IM STREIK. Mario Steiner ist auch Personalvertreter und seit 2006 Unia-Gewerkschaftsmitglied. Damals trat das gesamte technische Personal in einen Streik, also auch Schneiderinnen, Beleuchter, Bühnentechnikerinnen, Ton- und Video-Fachleute, Maske, Requisite und das Empfangspersonal. Die Gründe für den Streik: Die Stadt als Hauptaktionärin der Schauspielhaus Zürich AG wollte sparen und die Arbeitsbedingungen verschlechtern.
Der Streik dauerte etwa drei Wochen, und Theatervorstellungen mussten abgesagt werden. Dann kam es zu einer Einigung und damit zu einem neuen Gesamtarbeitsvertrag. Steiner sagt: «Der Streik war definitiv anstrengender als arbeiten, mental und auch emotional.» Es sei ein sehr aufwühlender gruppendynamischer Prozess mit vielen Diskussionen gewesen. Streikende besetzten das Theater, verteilten Flugblätter und besuchten den Stadtrat bei seiner Sitzung. Lohn gab es während des Streiks nur für Gewerkschaftsmitglieder aus der Streikkasse.
Heute ist Mario Steiner zufrieden mit seinen Arbeitsbedingungen. Er hat feste Arbeitszeiten, ein gutes Team und einen soliden GAV. Mit seinem 60-Prozent-Pensum verdient er 4080 Franken brutto im Monat. Das Lohnsystem am Schauspielhaus sei transparent. «Ich verstehe nicht, warum die Löhne in der Schweiz ein solches Tabuthema sind. Wir sollten viel mehr darüber sprechen.»
Mario SteinerFan von Musik und Garten
Mario Steiner ist im Kanton Aargau aufgewachsen und hat dort auch seine beiden Berufslehren als Schreiner und Innendekorateur gemacht. Vor dreissig Jahren lernte er seine Partnerin am Paléo Festival in Nyon kennen. Auch letztes Jahr sind die beiden, die seit sieben Jahren verheiratet sind, mit dem Wohnmobil wieder zum Festival an den Genfersee gefahren. Musik ist für Steiner sehr wichtig, als völkerverbindendes Element oder auch an der Fasnacht. Mit seiner Frau, die als Sozialarbeiterin im Kanton Uri arbeitet, lebt er in einer Wohnung in Altdorf und pendelt drei Mal pro Woche nach Zürich. Steiner geht selber nur noch selten ins Theater im Schauspielhaus, eher besucht und unterstützt er kulturelle Veranstaltungen in seiner Wahlheimat.
PARADIES. Als Rückzugsort zieht es Steiner in sein Rebhaus unterhalb des Schlosses Lenzburg. Dort ist der Horizont weiter als im Kanton Uri. Das Grundstück, das er seit vielen Jahren hegt und pflegt, ist sein kleines Paradies. Dort schafft er Lebensräume für Insekten und Tiere und kann die Seele baumeln lassen.
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