Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) geht im Tarifkonflikt mit der Bahn in die Vollen. 144 Stunden lang haben die Lokführer und Zugbegleiter den Schienenverkehr diese Woche lahmgelegt – der längste Bahnstreik der bundesdeutschen Geschichte.
DIE STIMME DER STREIKENDEN: GDL-Vorsitzender Claus Weselsky sagt, die Bahn dürfe nicht nur über Personalmangel jammern, sondern müsse etwas tun, um die Arbeit attraktiver zu machen. (Foto: Keystone)
UPDATE VOM 29. JANUAR 2024: VERHANDLUNGEN ERZWUNGEN, STREIKS PAUSIEREN
Als Reaktion auf den Streik sagte die Bahn zu, über alle Gewerkschaftsforderungen zu verhandeln – inklusive Festbetrag und Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter. Bis zum 3. Marz wollen beide Seiten Kompromisse suchen. So lange soll es keine weiteren Streiks und keine öffentlichen Stellungnahmen geben. Im März erhalten die Beschäftigten vorab eine Inflationsausgleichsprämie von 1500 Euro. Im Gegenzug beendet die GDL den Ausstand bereits Montagfrüh, einige Stunden früher als geplant. Die schriftlich bekundete Verhandlungsbereitschaft des Konzerns sei ein wichtiger Schritt zur richtigen Zeit, betonte GDL-Vorsitzender Claus Weselsky. Und weiter: «Im Falle einer Einigung wäre das ein starkes Signal für das gesamte Eisenbahnsystem und ein Schub hin zur Attraktivitätssteigerung der Eisenbahnberufe.»
Die Lokführer und Lokführerinnen in unserem Nachbarland fordern von der Deutschen Bahn zum einen mehr Geld, und zwar per Festbetrag, nicht prozentual. Zum anderen wollen sie die Arbeitszeit im Schichtdienst ohne Lohnverlust von 38 auf 35 Stunden pro Woche reduzieren. Vor allem hier blockiert der Bahnkonzern, der damit bereits die vierte Arbeitsniederlegung provozierte.
DIE LEIDENDEN LOKFÜHRER
Für Christian Pehle aus Darmstadt ist die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung zentral. «Wegen der Personalknappheit werden die Schichten immer länger und stressiger», berichtet der Lokführer, der seit 25 Jahren bei der Bahn arbeitet. «Wenn man sechs Tage neun, zehn, elf Stunden am Stück arbeitet, leiden das Familienleben und die Gesundheit.» Deshalb müsse die Belastung durch Arbeitszeitverkürzung reduziert werden. «Dass nicht ab morgen die 35-Stunden-Woche gilt, ist uns allen klar», betont der Gewerkschafter. Die GDL hat deshalb einen Stufenplan vorgeschlagen, mit dem die Arbeitszeit bis Ende 2027 schrittweise auf 35 Stunden abgesenkt wird – bei vollem Lohn. «Das würde dem Arbeitgeber Zeit geben, das nötige Personal nachzuführen. Aber die Bahn ist nicht einmal bereit, ernsthaft über unsere Forderungen zu verhandeln. Deshalb streiken wir.»
DAS SCHWINDEL-ANGEBOT
Die Deutsche Bahn hatte zuletzt lediglich ein Wahlmodell angeboten, bei dem Beschäftigte für eine Stunde Arbeitszeitverkürzung auf einen Teil der Lohnerhöhung verzichten können. «Etikettenschwindel» nennt die Lokführergewerkschaft das. Denn die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit mit entsprechendem Lohnverlust zu reduzieren, haben Beschäftigte in Deutschland ohnehin per Gesetz. Das Argument der Bahn, es gebe nicht genug Lokführer, um die Arbeitszeitverkürzung auszugleichen, kontert die GDL mit dem Vorschlag einer schrittweisen Absenkung. Ab dem 1. Januar 2025 soll die Wochenarbeitszeit demnach um lediglich eine halbe Stunde verkürzt werden. Nach weiteren Schritten wäre die 35-Stunden-Woche 2028 erreicht.
«NICHT NUR JAMMERN»
So hat es die GDL bereits für insgesamt fast 10’000 Beschäftigte bei 18 privaten Wettbewerbern der Deutschen Bahn vereinbart. Diese Regelungen treten allerdings nur in Kraft, wenn die Gewerkschaft auch beim DB-Konzern einen solchen Tarifvertrag erreicht. «Wir müssen etwas anderes machen, als ständig nur zu jammern, dass wir zu wenig Personal haben», sagt der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky. Die Arbeit müsse attraktiver werden. «Für die Menschen, die draussen in der Produktion sind, muss endlich was gemacht werden – und das tun wir mit der Absenkung der Wochenarbeitszeit.»
MANAGEMENT KASSIERT HOHE BONI
Weiterer Knackpunkt ist das Geld: Die Bahn bietet zwar Lohnerhöhungen von insgesamt fast 13 Prozent, allerdings bei einer Laufzeit von 32 Monaten. Die GDL beharrt hingegen auf einem Festbetrag, der besonders die Kaufkraftverluste in den unteren Entgeltgruppen ausgleicht. Sie fordert 555 Euro monatlich mehr, zeigt sich zu Höhe und Laufzeit aber verhandlungsbereit. «Eine prozentuale Erhöhung wird von uns abgelehnt«, heisst es in einem Schreiben der Gewerkschaft. An die Adresse des Bahn-Personalchefs Martin Seiler fügt sie hinzu: «Alternativ würden wir uns mit dem prozentualen Anteil der Boni, die Sie, sehr geehrter Herr Seiler, erhalten haben, zufriedengeben.» Der Manager hatte kürzlich 736’000 Euro zusätzlich zum Gehalt kassiert. Insgesamt erhielt der neunköpfige Vorstand trotz etlicher Probleme und mieser Pünktlichkeitswerte fünf Millionen Euro extra. Lokführer erhalten hingegen zwischen 2800 und 3700 Euro im Monat, abzüglich Steuern und Sozialbeiträge.
GEWERKSCHAFT KNICKT NICHT EIN
Dennoch sprechen manche ihnen das Recht ab, für ihre Forderungen zu streiken. Wirtschaftsverbände und konservative Parteien wettern gegen «regellose Streiks» und fordern zum Beispiel verpflichtende Notdienste und Schlichtungsverfahren. Versuche der Bahnspitze, den Ausstand zu verbieten, wurden von den Gerichten bislang allerdings allesamt abgeschmettert. GDL-Chef Weselsky nennt die Debatte über eine Einschränkung des Streikrechts «unverfroren» und kündigt an, sich davon nicht beirren zu lassen. Bewege sich die Bahnspitze in den Verhandlungen nicht, «werden wir wieder streiken. Und dann vielleicht noch länger.»