Der Bündner Hotelierpräsident Ernst Wyrsch klagt öffentlich über die angeblich «verweichlichte» Jugend. work zeigt, wie der Arbeitsalltag von jungen Servicekräften tatsächlich aussieht.
IM ELEMENT: Gastro-Büezerin Leonie Oeschger findet die Aussagen von Hotelierpräsident Ernst Wyrsch realitätsfremd. (Foto: zvg)
Die Jungen von heute seien «empfindlich», «kränklich» und «verweichlicht». Zudem «falsch erzogen». Diese hohen Töne spuckte der Bündner Hotelierpräsident Ernst Wyrsch in einem Interview Ende Dezember mit der «Südostschweiz». Laut Wyrsch sind die Jungen heute weniger bereit, Widerstände zu überwinden und auch mal den unbequemen, steinigen Weg zu gehen. Dabei sei doch klar, dass es im Leben halt auch Unannehmlichkeiten gebe, «die man einfach aushalten muss». Dieser Frontalangriff auf junge Berufsleute im Gastgewerbe blieb nicht unkommentiert. Ende Januar erhielt Wyrsch an der Delegiertenversammlung der Bündner Hoteliers die Quittung.
JUNGE HOTELIERS PROBEN AUFSTAND
Schon im Vorfeld war er vom Netzwerk «Junge Bündner Touristiker» aufgefordert worden, auf der Bühne zu seinem Rundumschlag Stellung zu nehmen. Doch das kam für Wyrsch nicht in Frage.
FEHLENDE WERTSCHÄTZUNG: Ernst Wyrsch macht sich bei den jungen Berufsleuten keine Freunde. (Foto: Keystone)
Also nahmen die jungen Berufskolleginnen und ‑kollegen die Sache selbst in die Hand – und stürmten kurzerhand die Bühne! Das Wort ergriffen Jamie Rizzi, der 29jährige stellvertretende Gastgeber im Hotel Schweizerhof in Lenzerheide, und vier weitere Kolleginnen: «Wir teilen Wyrschs Kritik überhaupt nicht», stellten sie klar. Vielmehr forderten die Bühnenstürmer flexiblere Arbeitszeiten, flachere Hierarchien und mehr Wertschätzung. Der Vorfall zeigt klar: Die reformfaulen Gastrochefs stossen endlich auf Widerstand aus den eigenen Reihen. Aber wie steht’s an der Front, bei den Büezerinnen und Büezern? work hat nachgefragt.
TÄGLICH 600 GÄSTE BEDIENEN
Leonie Oeschger (24) arbeitet auf der Skihütte El Paradiso in St. Moritz und hat von den Schlagzeilen nichts gelesen. Dafür hat sie aktuell keine Zeit. Denn sie und ihr Serviceteam befinden sich zurzeit mitten in der Hochsaison. Sie sagt: «Skiferien bedeutet für uns jeden Tag arbeiten – ohne grosse Auszeiten.» Und: «Wir können es uns gar nicht leisten, faul zu sein!» Über die Aussage von Wyrsch kann die 24jährige nur lachen. Von den höchsten Chefs sei man ja nichts anderes gewohnt.
Wie hart die Jungen auf der Skihütte arbeiten, zeigt das stressige Tagesprogramm: «Wir bedienen hier auf fast 2000 Höhenmetern pro Tag bis zu 600 Gäste. Täglich lege ich 24 000 Schritte zurück, das sind rund 14 Kilometer!» Zudem hilft die Belegschaft regelmässig im Hotelresort Badrutt aus.
Oeschger hat selbst Hotelmanagement studiert, will aber «nicht zur Sesselhockerin werden», wie sie sagt. Sondern die Realitäten in den Gastro- und Hotelbetrieben kennen. Das sei nämlich oft das Problem: «Viele Chefs vergessen, wie streng die Arbeit ist.» In der Skihütte arbeitet sie bereits die dritte Saison. Das Team, bestehend aus etwa 45 Personen, hat einen Altersdurchschnitt von Mitte zwanzig. Und für alle gilt das gleiche Regime. Oeschger sagt: «Unsere Tage dauern häufig bis zu 10 Stunden, und die Arbeit ist körperlich sehr anstrengend. Uns als faul zu betiteln ist total realitätsfern.»
VON OBEN HERAB
«Diese Aussagen von Wyrsch zeigen eine Grundignoranz von oben herab.» Das sagt Johanna Laube* zum Kommentar des Bündner Hotelierpräsidenten. Die 29jährige Zürcherin ist selbst seit fast 15 Jahren im Gastgewerbe tätig. Aktuell absolviert sie die Ausbildung zur Restaurantleiterin und führt zudem den Gastrobetrieb eines Hotels. Ausserdem engagiert sie sich im Gastra-Kollektiv, einer gewerkschaftlichen Gruppe von Gastro-Arbeitenden. Diese Karriere sei alles andere als selbstverständlich, sagt Laube. Denn: «Für eine so schlechte Bezahlung und generell unflexible Arbeitszeiten sind heute immer weniger Leute bereit, so viel vom Leben aufzugeben.» Doch diese Probleme gibt es nicht erst seit gestern: «In der Branche fehlt es an Empathie, Geduld und Verständnis. Bei der Einarbeitungszeit und besonders bei Berufseinsteigerinnen brauchen wir dringend mehr Zeit.» Als Führungskraft sieht Laube selbst, dass sich die Situation immer weiter zuspitzt. Geeignetes Personal zu finden werde immer schwieriger.
Kurzfristig müsse man sich für den Nachwuchs mehr Zeit nehmen, sagt Laube, doch langfristig ändere sich im Gastgewerbe nichts, solange die Arbeitsbedingungen nicht besser werden. «Wer sich für einen Gastro-Job entscheidet, muss heute sein ganzes Leben umkrempeln.» Freie Abende und Wochenenden gebe es kaum noch. Das sei gerade für jugendliche Berufseinsteigende eine grosse Umstellung. Die Aussage von Wyrsch komme deshalb zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Zumal: «Viele Berufsleute sind wegen des anhaltenden Personalmangels demotiviert und erschöpft.» Laubes Rat an Leute wie Wyrsch ist daher simpel und klar: «Nicht jammern, sondern liefern! Und zwar endlich konkrete Verbesserungen der Arbeitszeiten, mehr Zeit und bessere Löhne!»
Casimir Platzer (Foto: Keystone)
Coup Casimir gescheitert
In wenigen Monaten endet die dritte und letzte Amtszeit von Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer (62). Doch so einfach will der Berner Oberländer den Chefposten nicht räumen – auch nach 9 Jahren nicht. Im vergangenen November mobilisierte er deshalb zu einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung – und plante einen Coup. Denn gemäss Statuten ist die Amtszeit von Vorstandmitgliedern auf drei Amtsperioden à drei Jahre beschränkt. In der Versammlung wollte sich der Vorstand deshalb selbst eine vierte Amtszeit einräumen. Doch das Vorhaben scheiterte, die Mehrheit der Delegierten stimmte dagegen. Mit einer neuen Person an der Spitze von Gastrosuisse hoffen auch die Gewerkschaften auf frischen Wind. Denn Platzer vertrödelt die dringend nötige Erneuerung des Gastro-Gesamtarbeitsvertrags (LGAV) – und zwar schon seit 2019!
work-Kommentar
Wir können es nicht mehr hören
Faul, verweichlicht, frech – die Generation Z im Kritikhagel von Boomern! Doch hinter dem angeblichen Generationenkonflikt steckt purer Spaltungswille. Schluss damit!
Darija Knežević
Im Wochenturnus liefern die Medien immer dieselben Schlagzeilen. «Die faule Generation Z». Das SRF titelte kürzlich «Alt gegen Jung – Generation Z in Verruf». Oder beim Onlineportal Nau heisst es aktuell: «Immer öfter krank: Professor geht mit Gen Z hart ins Gericht». Und auch im Ausland geben sie keine Ruhe. Die «Süddeutsche Zeitung» gab sogar einen Ratgeber heraus: «Wie man die Gen Z zum Arbeiten bringt». Das geht schon Jahre so.
Zur Generation Z gehören Personen mit den Jahrgängen 1995 bis 2010. Viele von ihnen wagen gerade die ersten Schritte in die Arbeitswelt – sei es mit einer Berufslehre nach der Oberstufe, einem Praktikum nach dem Gymi oder dem ersten Job nach dem Ausbildungsabschluss. Es sind gesuchte Fachkräfte, denn an allen Ecken und Enden fehlt es an qualifizierten Mitarbeitenden. Doch statt sich zu freuen, dass eine motivierte Generation den Arbeitsmarkt auffrischt, gibt es nur Konter. Besonders laut brüllen die Boomer, also Angehörige der geburtenstarken Jahrgänge der fortschrittsverwöhnten Nachkriegszeit. Gerade die, die sich seit Jahren in ihren ergonomischen Bürostühlen auf den Teppichetagen eingenistet haben. Der Grund? Sie fühlen sich angegriffen. Und zwar von jungen Menschen, die den Arbeitsmarkt verändern wollen. Von jungen Menschen, die sich bessere Arbeitsbedingungen und mehr Flexibilität erkämpfen. Von jungen Menschen, die sich nicht scheuen, beim Chef an die Tür zu klopfen und Konflikte anzusprechen.
Doch im öffentlichen Diskurs wird ein Generationenkonflikt heraufbeschworen. Und dieser ist mittlerweile so aufgeputscht, dass er zum Geschäft wird: Findige Start-ups gründen Agenturen, beraten Unternehmen und geben Bücher heraus. Immer mit dem Versprechen, das Geheimnis zu kennen, wie man dieser anspruchsvollen Generation doch noch Herr werde. Schluss mit dem Quatsch! Junge Menschen mischen die Arbeitswelt auf, weil diese dringend menschenfreundlicher werden muss. Chrampfen bis zum Umfallen kommt schlicht nicht mehr in Frage – auch bei den jüngsten Arbeitskräften nicht. Viele aus der Generation Z kommen halt aus Haushalten, in denen die Eltern für alles zu wenig Zeit hatten. Und dieses Opfer wollen junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nochmals bringen.
Und sowieso: Generationenkonflikte sind ein uraltes Rezept, um die Gesellschaft zu spalten. Ist ein Ende in Sicht? Nur bedingt. Denn bald stürzt sich die Medienlandschaft auf die Generation Alpha, also Kinder und Jugendliche mit Jahrgängen 2010 bis 2025. Die Vorurteile stehen längst bereit: sie seien verwöhnt und dumm. Okay, Boomer!