Jean Ziegler
Der Internationale Uno-Gerichtshof in Den Haag ist die oberste richterliche Instanz der Weltorganisation. Seine Kompetenzen sind im Kapitel XIV der Charta festgelegt. Gegenwärtig präsidiert die US-amerikanische Richterin Joan Donoghue das Gericht. In Den Haag kann jeder Uno-Mitgliedstaat gegen einen oder mehrere Staaten Klage einreichen wegen Verletzung der Uno-Charta, der universellen Deklaration der Menschenrechte, oder jeder anderen Konvention des Völkerrechts.
VERBRECHEN. Am 29. Dezember 2023 klagte Südafrika gegen Israel. Wegen Missachtung der Uno-Konvention gegen Völkermord von 1948. 46 Staaten, über 1000 soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen und 600 israelische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger schlossen sich der Klage an.
Die Sachlage: Am 7. Oktober 2023 griffen Kämpfer der Terrororganisation Hamas Siedlungen in Südisrael an und begingen Verbrechen. Die Regierung in Tel Aviv antwortete mit einem Rachefeldzug. Dieser richtet sich gegen die Hamas-Bewegung, aber vor allem auch gegen die palästinensische Zivilbevölkerung, die an den Hamas-Verbrechen total unbeteiligt ist. Bis Mitte Januar 2024 sind über 27 000 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet und über 28 000 schwerstens verletzt worden. 70 Prozent davon waren Frauen und Kinder.
KLAGE. Am 23. Oktober 2023 erklärte der damalige israelische Aussenminister Eli Cohen vor dem Uno-Sicherheitsrat in New York: «Wir kämpfen gegen Tiere und verhalten uns dementsprechend.» Völkermord ist nach der Uno-Konvention von 1948 die willentliche, totale oder teilweise Zerstörung einer Menschengruppe, die durch ihre religiöse, nationale oder ethnische Kollektiv-Identität definiert wird. Die südafrikanische Klage umfasst 84 Seiten und dokumentiert akribisch den israelischen Massenmord an der Zivilbevölkerung und die durch israelische Regierungsaussagen begründete Motivation.
PROZESS. Am 26. Januar 2024 erklärte der Gerichtshof Annahme der Klage und Eröffnung eines Prozesses. Als sofortige Massnahmen verurteilte das Gericht Israel dazu, den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung zu garantieren, die Nothilfe für Nahrungsmittel, Wasser, Treibstoff der Zivilbevölkerung sicherzustellen, das Verbot aller Hass-Reden, die Beendigung jeder Entmenschlichung aller beteiligten Parteien. Israels Premier Benjamin Netanjahu lehnte noch am Tag der Urteilsverkündung jede dieser provisorischen Sofortmassnahmen ab.
URTEIL? Der israelische Massenmord an der palästinensischen Zivilbevölkerung geht ungehindert weiter. Wie lange noch? Das oberste Uno-Gericht, das «Weltgewissen», wie es der US-Völkerrechtler Richard Falk nennt, ist völlig machtlos.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam im Frühling 2022 als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.
Dass die UNO mit einer Mehrheit von un- oder antidemokratischen Mitgliedsstaaten „machtlos“ sei, ist wohl besser: laut R. Goldstone hat der UN-Menschenrechtsrat hat eine Geschichte der Einseitigkeit gegen Israel.
Solange der Vorwurf des „Genozids“ oder „Völkermords durch Israel“ nicht gerichtlich bestätigt wurde, sollte kein klar denkender (also schreibender) Mensch diese Bezichtigung als Tatsache hinstellen.
Seit dem 7.10.23 gibt es keine solche Vorverurteilung durch J. Ziegler gegenüber der Hamas, obwohl z.B. Ronen Steinke dafür plädiert, eher deren Tat unter diesen Begriff zu stellen.
Wo liegt der Grund ?
Felix Klein z.B. stützt sich auf die IHRA-Definition für Antisemitismus und wertet den einseitigen Genozid-Vorwurf gegenüber Israel als antisemitisch: Das Land werde dämonisiert, weil doppelte Standards angewendet.
Verstösse gegen Völkerrecht sind zu ahnden, und ja: falls festgestellt von der angerufenen Gerichtsbarkeit, auch Strafen gegen alle jene, die für einen „Genozid“ verantwortlich sind.
„Mord ist eine vorsätzliche Tötung (StGB) eines Menschen und verlangt zusätzlich eine besondere Skrupellosigkeit. Diese ist bei einer besonders grausamen oder heimtückischen Tötung oder bei einem verwerflichen Beweggrund wie Rache oder Ehrenmord geben.“
Will Ziegler dies der israelischen Armee unterstellen ?
„Der israelische Massenmord an der palästinensischen Zivilbevölkerung geht ungehindert weiter“ und „Wer kann die israelische Mordmaschine stoppen? “ frägt Ziegler (rhetorisch) – erinnert diese Frage nicht an das uralte antisemitische Stereotyp der „Kindermörder“ ?
Die Sachlage wird von Ziegler völlig verdreht (wie schon vom durch ihn zitierten Völkerrechtler Falk): „Am 7. Oktober 2023 griffen Kämpfer der Terrororganisation Hamas Siedlungen in Südisrael an und begingen Verbrechen.“ – eine unglaubliche Bagatellisierung.
„Die Regierung in Tel Aviv antwortete mit einem Rachefeldzug.“ Nein, sie antwortete auf die Kriegserklärung der Hamas, also der von der palästinensischen Bevölkerung eingesetzten Regierung resp. deren militärischem Arm.
Dieser Krieg wäre schnell zu beenden: die Hamas ergibt sich und lässt die Geiseln frei –
aber dann verlöre sie ja ihr ganzes weltweites, symbolisch-politisches Kapital.. (siehe Campusproteste)
Ebenso wie die Regierung Netanyahus durch Beenden der Kriegsführung vor dem Ende stünde.
Herzlichen Dank für die klaren Worte, lieber Jean Ziegler!
Statt Kommentar veröffentliche ich meinen Brieftext an Präsident Herzog. Die Mail wurde ungelesen gelöscht:
Please, stop killing mothers and children now!
To:
13.03.2024 19:41
Dear President Herzog,
when I wrote the 14th of October 2023 to the Embassy of Israel (to the Israeli people) that I imagine the deep pain of Israel, I also wrote that I can never really feel it: A massacre like the massacre of the Hamas is too cruel, too inhuman. It exceeded everything which we thought that the Hamas would be able to do.
My reaction was like the reaction of Israel: The Hamas must be destroyed.
But I had no idea of the consequences. By thinking of the pain of Israel and of the inhuman cruelty of the Hamas I forgot the Palestinians in the Gaza Strip. Most of them who were governed by the Hamas and perhaps also terrorized by the Hamas, should not suffer.
Dear President Herzog, yesterday Prime Minister Netanjahu said that Israel will finish the job in Rafah. He said that no pressure will stop Israel. He is really thinking that Israel has taken measures enough to minimize civilian casualties.
I say „No“! Israel killed more than 5000 children. Today I heard the report of a midwife who worked together with Médecins sans Frontières in the Gaza Strip. Three weeks she suffered together with mothers who had not enough to eat and to drink, so that these mothers had not enough milk for their babies. What in heaven’s name is justifying the pain and the death of mothers and children? Nothing is justifying that a mother loses her baby and that a child loses father and mother, brother and sister!
Mr. President, Prime Minister Netanjahu says like me: Israel has the rigth to exist and Israel has the right to defend itself. But he is wrong when he defends „the actions necessary“ which are bloody, murdering actions when they are killing mothers and children. Nobody in Israel did enough and is now doing enough to avoid the human catastrophe! And when the United States and the European Union and Germany are trying now with ships and airplanes to bring some food and water and medecine in the Gaza Strip they know very well that it will be only a drop in the ocean.
It is Israel’s turn now to save the mothers and children. I demand now that steps will be taken: Create a save corridor, so that all women and children can leave the Gaza Strip. Create corridors for all Palestinians who must stay in the Gaza Strip so that help from Egypt can reach them. Create zones of security where the mothers and children can live and where UN/UNICEF will take care of the children until Israel has achieved its goal: Destroying the Hamas.
No terrible pain can justify another terrible pain. I feel with the Israeli people and with all hostages, but I feel also with the Palestinians: If we relieve the pain now in the Gaza Strip it will be much easier to achieve one day another goal: I make no difference between Israelis and Palestinians if they respect the Human Rights, therefore: Two states – Israel and Palestine – which will live in peace together.
-end-