Saudi-Arabien plant mit seiner «Vision 2030» einen massiven Ausbau des Bahnnetzes und bestellt für 600 Millionen Franken Triebzüge bei Stadler Rail. Diese werden in der Schweiz zusammengebaut, wo Stolz und Stress zum Arbeitsalltag der Fabrikbüezerinnen und -büezer gehören.
SO ROLLT’S! In den Werkshallen der Stadler Rail werden bald auch Züge für Saudi Arabien zusammengebaut. (Foto: Keystone)
Konzernpatron Peter Spuhler reiste letzte Woche zusammen mit einer 30-köpfigen Schweizer Wirtschaftsdelegation und Bundesrat Guy Parmelin (siehe Box) nach Saudi-Arabien. Der Ostschweizer Unternehmer hatte gute Gründe für seinen Besuch im saudischen Königreich: Die Saudia Arabia Railways bestellen 10 Triebwagen im Wert von 600 Millionen Franken bei Stadler Rail. Die Züge sollen vorerst auf der Strecke zwischen der Hauptstadt Riad und der Hafenstadt Dammam eingesetzt werden. Obwohl die Züge im Rahmen der saudischen Nachhaltigkeitsstrategie «Vision 2030» zum Einsatz kommen, wurden Triebzüge mit Dieselantrieb bestellt. In Saudi-Arabien gibt es weitere Ausbaupläne, die einen Grossteil der Städte des Wüstensstaates mit Zugstrecken erschliessen sollen.
Spuhler äusserte sich entsprechend erfreut: «Wir fühlen uns geehrt, diesen prestigeträchtigen Auftrag von einer der am schnellsten wachsenden Bahngesellschaften der Welt zu erhalten,» sagt er. Spuhler sieht auch Potential für weitere Grossaufträge in der Region: «Dies ist ein strategischer Meilenstein für Stadler, um in den Eisenbahnmarkt in der Golfregion einzusteigen.»
Stolz und Stress
Matthias Mechler ist Gewerkschaftssekretär bei der Unia Ostschweiz-Graubünden. Gemeinsam mit dem Industrie-Team unterstützt er die Arbeitnehmenden in den Schweizer Werken von Stadler Rail, wo auch die Züge für Saudi-Arabien gefertigt werden. Die Stimmung im Betrieb sei geprägt von einem grossen Stolz der Mitarbeitenden auf ihre Produkte und einem Bewusstsein für qualitative Arbeit. «Andererseits empfinden viele Mitarbeitende auch zunehmend Stress durch Termindruck und die stark hierarchische Ordnung, welche Prozesse fast ausschliesslich top-down optimiere,» fügt Mechler an. Die Mitarbeitenden würden derzeit noch zu wenig miteinbezogen. Es gebe aber einen grossen Zusammenhalt zwischen den Mitarbeitenden und auch Gewerkschaftsmitgliedern, die sich «in einem herausfordernden Umfeld» organisieren.
Eine der grössten Qualitäten des firmeneigenen GAV sei der jährlich verhandelte Teuerungsausgleich und die paritätische Kommission mit der Unia, der Personalkommission und der Stadler Geschäftsleitung. «Im letzten Jahr wurde so gemeinsam eine unterjährige Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen bestimmter Berufsgruppen erreicht,» sagt Mechler.
Die Mitarbeitenden würden das Wachstum der Firma Stadler Rail mit Respekt und Begeisterung begleiten. Gleichzeitig gebe es aber auch die Sorge, dass die Produktion in der Schweiz zu Gunsten ausländischer Standorte ins Hintertreffen geraten könnte.
Stadler wächst, Spuhler wird superreich
In den Schweizer Stadler Fabriken arbeiten heute etwa 5000 Mitarbeitende, am Hauptsitz in Bussnang TG sowie in den Werken von St. Margrethen SG, in Frauenfeld TG, in Winterthur und in der Stahlgiesserei in Biel. Weltweit beschäftigt Stadler inzwischen 14000 Personen an Werkstandorten in Deutschland, Polen, Spanien, Ungarn und den USA. Das Werk in der Nähe der weissrussischen Hauptstadt Minsk musste nach dem russischen Angriffskrieg und aufgrund internationaler Sanktionen stillgelegt werden. Wegen des rekordhohen Auftragsbestandes wurde als Ersatz das Werk im ungarischen Szolnok ausgebaut.
Seit 1989 hat Spuhler die Firma Stadler Rail von einem Kleinbetreib mit 18 Angestellten zu einem Weltkonzern entwickelt, der neben Strassenbahnen und Metros inzwischen auch Hochgeschwindigkeitszüge und Nachtzüge produziert. Spuhlers Vermögen stieg seit seinem Einstieg bei Stadler Rail auf mehr als 4 Milliarden Franken. Damit ist SVP-Mitglied Spuhler heute einer der reichsten Schweizer. Mit seiner Firma PCS Holding hält Investor Spuhler auch grosse Aktienpakete an den Schweizer Industriekonzernen Rieter, Autoneum, Swiss Steel und Aebi Schmidt.
Milliarden oder Menschenrechte
Wirtschaftsminister Guy Parmelin hatte bei seinem Besuch in Saudi-Arabien und Katar auch die Schweizer Konzernelite im Schlepptau: UBS, Glencore, Novartis, Economiesuisse, Swissmem und viele mehr. Sie wollen sich das wachsende Geschäft mit den Golfsaaten nicht entgehen lassen: Der Handel zwischen der Schweiz und Saudi-Arabien hat sich in den letzten drei Jahren verdoppelt. Die Schweiz exportiert vorwiegend pharmazeutische Produkte, Gold, Uhren und Kriegsmaterial nach Saudi-Arabien und Katar. Die beiden Staaten investieren umgekehrt jedes Jahr Milliarden von Petrodollars in Schweizer Firmen. Katar war beispielsweise einer der grössten Geldgeber der untergegangenen Grossbank Credit Suisse. Menschenrechte waren beim Schweizer Besuch kaum ein Thema. Saudi-Arabien hat im letzten Jahr 170 Menschen hingerichtet und führt einen langjährigen Krieg im Jemen. Hinrichtungen und die sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen von Migratinnen und Migranten in den Golfstaaten werden von NGOs seit vielen Jahren kritisiert. (isc)