Klitzeklein, konservativ und erzkatholisch – doch bei der AHV ist Liechtenstein der Schweiz voraus. Die 13. Rente hat das Fürstentum schon 1992 eingeführt – zur vollen Zufriedenheit des ganzen Ländles. Auf den Spuren einer Erfolgsgeschichte.
KLARE KÖPFE: «Letztlich fliessen alle Renten in die Wirtschaft zurück», weiss der Stammtisch im liechtensteinischen Balzers. (Fotos: Jonas Komposch, Vecteezy, Wikimedia (2), PD)
Bange blicken die AHV-Miesmacher auf den 3. März. Ihnen droht eine Kanterniederlage – zugeführt vom eigenen Wählervolk. Richten soll es eine millionenschweren Angstkampagne. Und verbale Extreme: «Asozial» sei so eine 13. AHV-Rente! Ein «geschröpfter Mittelstand» drohe, ja gar der «Ruin» schlechthin! So und ähnlich schreit es auch am Bahnhof Sargans SG von den Nein-Plakaten. Ein ganz anderes Bild bietet sich nur zehn Velominuten weiter, im liechtensteinischen Balzers.
Im Dörfchen ist noch nicht viel los an diesem Dienstagmorgen. Dann endlich eine Bäckerei. Es gibt feine Gipfeli. Und eine junge Verkäuferin mit dezidierter Meinung: «Die 13. AHV? Logisch sage ich Ja!» Als St. Gallerin fahre sie täglich über den Rhein zur Arbeit ins Nachbarland – so wie rund 10 000 andere Schweizerinnen und Schweizer auch. Dass aber die Erbmonarchie längst kennt, worüber die Schweiz erst streitet, weiss sie nicht. Was kein Zufall ist.
OPPOSITIONSLOS EINGEFÜHRT
Die helvetischen 13.-AHV-Gegner setzen nämlich alles daran, das Beispiel Liechtenstein unter dem Deckel zu halten. Hier wurde die 13. Rente schliesslich schon 1992 eingeführt. Und zwar nicht etwa nach einer hart umkämpften linken Volksinitiative. Sondern fast geräuschlos auf Antrag der Vaterländischen Union, einer der beiden christlich-konservativen Regierungsparteien! Ihre Begründung damals: Der 13. und zum Teil sogar ein 14. Monatslohn seien längst normal. Da sei es nichts als gerecht, wenn auch die Pensionierten einen 13. erhielten.
Das leuchtete ein. Das Parlament in Vaduz winkte das Begehren praktisch oppositionslos durch. Auch die anfänglich skeptische Regierung erwärmte sich bald für das Anliegen und erweiterte den Anspruch auf die 13. Rente sogar noch auf die IV. Und so gab es bereits im Dezember desselben Jahres das erste «Weihnachtsgeld», so der offizielle Name der 13. AHV. Zunächst war es aber bloss eine Viertelrente, dann eine Halbrente und 1998 schliesslich die erste volle Monatsrente. Und damit lebt das Ländle offenbar bestens. In Balzers jedenfalls ist von «Ruin» und «geschröpftem Mittelstand» nichts zu spüren. Im Gegenteil.
VIELE RENTNER ARMUTSBEDROHT
Im Café Wanger etwa herrscht Hochbetrieb. Auch der Stammtisch ist voll. Eine zehnköpfige Altherrenrunde hat es sich bequem gemacht. Rege Diskussionen begleiten ihren Frühschoppen. work unterbricht: Verprassen hier reiche Rentner etwa gerade ihr Weihnachtsgeld? «Von wegen!» gibt ein Rüstiger zurück. «Das ist schon längst für die Steuern draufgegangen.» Ein frisch pensionierter Konstrukteur bestätigt: «Ich kann die 13. gut gebrauchen, auch weil die Pensionskassenvermögen derart weggeschmolzen sind.» Sein Tischnachbar relativiert: «Die einen haben es aber schon nötiger als andere.» Raunen in der Runde.
Fakt ist: Der Medianlohn (eine Hälfte verdient mehr, eine weniger) liegt mit brutto 6852 Franken leicht über jenem der Schweiz (6665 Franken). Doch die Einkommensungleichheit im Ländle ist extrem. Im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ist die soziale Schere nur in Lettland, Litauen und Bulgarien noch weiter geöffnet. Während Liechtensteiner Banker und Finanzanwältinnen absahnen, sind laut Regierung 14 Prozent der Bevölkerung sogar armutsgefährdet. Und gerade die über 65jährigen tragen das mit Abstand höchste Armutsrisiko. Ein Viertel von ihnen ist laut Landesstatistik bedroht.
Nicht berücksichtigt in diesen Zahlen ist das Heer der Grenzgänger. Und diese stellen die Mehrheit aller Arbeitskräfte. Denn im prosperierenden Zwergstaat gibt es immer mehr Arbeitsplätze. Über 45 000 sind es heute. Einwohnende zählt das Ländle aber keine 40 000. Mehr als 20 000 Berufstätige pendeln täglich vom Ausland ins Fürstentum. Über ein Drittel von ihnen ist in einem der vielen Industriebetriebe tätig, etwa in den Grossfabriken von Hilti, Hilcona oder Thyssenkrupp. Auch ihnen winkt im Alter eine 13. Rente aus dem Fürstentum.
«WIR SIND KEINE SOZIS!»
«Aber», sagt jetzt im Café Wanger ein Pensionär und hebt schmunzelnd sein Glas, «letztlich fliessen ja sowieso alle Renten in die Wirtschaft zurück!» Schallendes Gelächter. Dann wieder Ernsthaftigkeit. Denn work will jetzt wissen, ob es hier denn gar keine Gegner der 13. gebe. Allgemeines Kopfschütteln. «Höchstens in der Regierung!» meint einer. Tatsächlich wagte diese 2015, das Weihnachtsgeld anzutasten – und verbrannte sich heftig die Finger. Soll also auch die Schweiz der linken Ja-Parole folgen? «Sozis sind wir im Fall nicht hier!» meint nun ein ehemaliger Gemeindevorsteher an der Stirnseite des Tisches, «aber ja, ich denke, das kann sich auch die Schweiz leisten.»
Gleich tönt es im «Roxy», einem verrauchten Spunten mit Fasnachtsdeko. Ein junger Schichtarbeiter nippt an seinem Morgenkafi und sagt: «Ich kenne niemanden, der gegen die 13. ist.» Hinter dem Tresen nickt die Barfrau, und auch am Znünitisch verteidigen sie die Errungenschaft unisono. Ein Büezer im Blaumann legt sogar noch eins drauf: Die Liechtensteiner AHV habe noch weitere Vorteile. Etwa für Ehepaare. Tatsächlich erhalten diese je zwei persönliche Vollrenten. In der Schweiz dagegen gibt es noch immer bloss eine gemeinsame Ehepaarrente – und die ist auf 150 Prozent einer Maximalrente plafoniert. «Ihr Schweizer könnt es drehen und wenden, wie ihr wollt», schliesst daraus der Büezer, «für einmal sind wir euch klar voraus.»
Liechtensteiner AHV: Schweiz war Vorbild
1948 wurden die ersten Schweizer AHV-Renten ausbezahlt. Das Ländle folgte sechs Jahre später. Finanziell haben sich die beiden Sozialwerke seither unterschiedlich entwickelt – auch wegen Rentenklaus an den Saisonniers!
«Unsere Reserven sind stabil geblieben, trotz der 13. Rente.» (Sigi Langenbahn, Arbeitnehmerpräsident Lichtenstein)
Alfons Schädler erinnert sich noch gut an die Debatten um eine 13. AHV-Rente. Damals, Ende der 1980er Jahre, war der heute 95jährige noch Präsident des Liechtensteinischen Arbeitnehmerverbands (LANV) und gehörte zu den Erstunterzeichnern der Interpellation für eine 13. AHV-Rente. Zwar opponierten Gewerbevertreter, letztlich sei die Einführung aber kaum umstritten gewesen. «Unsere AHV-Kasse hatte schliesslich schon damals elf ganze Jahresreserven auf der hohen Kante.»
In der Dicke des Sparpolsters liegt noch heute die Hauptdifferenz zwischen der Schweizer AHV und jener des Ländles. Erstere verfügt über eine Reserve in der Höhe von rund einer Jahresausgabe, letztere dagegen über ganze elf Jahresausgaben! Der Grund liegt nicht im System, denn dieses hat Liechtenstein 1954 von der Schweiz übernommen.
OHNE AUSLANDSRENTEN. Der heutige LANV-Präsident, Sigi Langenbahn (59), erklärt: «Liechtenstein hatte immer einen viel höheren Anteil an sogenannten Gastarbeitern als die Schweiz. Und diese mussten zwar in die AHV einbezahlen, konnten daraus aber nichts beziehen!» Denn das Fürstentum zahlte keine Altersrenten ins Ausland – ausgenommen in die Nachbarländer. Die Tausenden Italiener, Spanierinnen und Jugoslawen gingen also leer aus – bis in die 1980er und 1990er Jahre.
So oder so. Die unterschiedlich hohen Reserven seien kein Argument gegen eine Schweizer 13. AHV. Davon ist neben Gewerkschaftsveteran Schädler auch LANV-Chef Sigi Langenbahn überzeugt. Denn: «Unsere Reserven sind über all die Jahre stabil geblieben – trotz der 13.» Zudem sei ja auch die Schweizer AHV gut gebettet. Tatsächlich nehmen die hiesigen AHV-Überschüsse Jahr für Jahr zu, und der Trend hält an. Auch Langenbahn empfiehlt daher ein Ja.