Die Richtlinie für Plattformarbeit in der EU schien schon tot. Wenige Tage vor Ostern ist sie überraschend auferstanden. Ein enormer Erfolg für die europäischen Gewerkschaften. Was jetzt in der Schweiz gehen muss.
VERBESSERUNG IN AUSSICHT: Männer und Frauen, die für Plattformen wie Uber Aufträge ausführen, werden in der EU künftig besser geschützt. (Foto: Keystone)
Über 40 Millionen Menschen arbeiten in der EU für digitale Plattformen. Sie sind arbeitsrechtlich endlich besser geschützt, wenn die beschlossene Richtlinie national umgesetzt ist. Die zentrale Neuerung der nach 800 Tagen politischer Auseinandersetzungen angenommenen Vorlage: Plattformunternehmen gelten grundsätzlich automatisch als Arbeitgeberinnen. Das bedeutet für Plattformarbeitende: Sie erhalten endlich Mindestlöhne, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und stehen unter dem Schutz des Arbeitsrechts.
Juristisch ausgedrückt heisst das «Beschäftigungsvermutung». Uber & Co. müssen künftig beweisen, dass jemand, der für sie arbeitet, nicht bei ihnen angestellt ist. Bisher mussten einzelne Arbeitnehmende langwierige Gerichtsverfahren durchlaufen, um zu belegen, dass sie Arbeitnehmende sind.
FRANKREICH UND DEUTSCHLAND ÜBERSTIMMT
Über zwei Jahre verhandelten die EU-Gremien über die Plattformarbeit-Richtlinie. Die erste Version der EU-Kommission erlitt mehrere Rückschläge und Verzögerungen. Und Nein-Entscheide (zum work-Artikel). Unterhändler der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und des Rates der EU einigten sich Anfang Februar auf einen weiteren, schwächeren Kompromiss.
Aber auch dieser wurde von den Mitgliedstaaten zweimal abgelehnt, da Frankreich, Deutschland, Estland und Griechenland dagegen waren. Im Falle Frankreichs ist das besonders brisant, weil der heutige Staatspräsident Emmanuel Macron im Ruch der Korruption steht. Er pflegte als Wirtschaftsminister engsten und vertraulichen Kontakt mit Vertretern des Uber-Konzerns. Das flog im Rahmen der sogenannten Uber-Leaks auf und führte zu einer parlamentarischen Untersuchung. In der deutschen Koalition stellte sich die FDP quer. Es ist äusserst selten, dass ein EU-Gesetz ohne die Zustimmung von Deutschland und Frankreich verabschiedet wird. Um eine Sperrminorität zu bilden, brauchen die beiden grössten EU-Staaten nur zwei zusätzliche kleine Mitgliedstaaten. Denn für ein neues Gesetz braucht es das Ja von mindestens 15 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung repräsentieren.
ERFOLG FÜR GEWERKSCHAFTEN
Die Gewerkschaften haben energisch und intensiv für die Plattformarbeit-Richtlinie gekämpft. Entsprechend gross ist die Freude über den Erfolg vom vergangenen Montag. Ludovic Voet ist Sekretär beim Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und sagt: «Die ganze Zeit der Verhandlungen haben die Arbeitnehmenden und ihre Gewerkschaften mit Klauen und Zähnen gekämpft, um den Druck aufrechtzuerhalten. Wir sind stolz auf all die Arbeitnehmer, die sich organisiert haben, und auf ihre Gewerkschaften, die diesen grossen Sieg errungen haben.»
Jetzt müsse die Richtlinie rasch umgesetzt werden, so Voet weiter, «damit die Arbeitnehmenden zu ihrem Recht kommen».
UND DIE SCHWEIZ?
Die neue EU-Richtlinie ist ein wichtiges Signal auch für die Schweiz. Denn auch bei uns ist das Problem der Scheinselbständigkeit bei Uber & Co. gross. So haben Uber-Arbeitende zwar in langen Prozessen ihre grundlegenden Rechte erkämpft. Das Bundesgericht stellte schliesslich fest, dass Uber als Arbeitgeberin gilt. Doch der US-Konzern ignoriert das klare Urteil. Und die zuständigen Behörden bleiben – bis auf wenige Ausnahmen – untätig und lassen Uber bei der Verletzung von Arbeits- und Sozialversicherungsgesetzen gewähren.
Auf den Punkt gebracht: In der Schweiz sind die bestehenden Gesetze grundsätzlich ausreichend, um Plattformen als Arbeitgeber zu klassifizieren. Allerdings fehlt es am politischen Willen, die Gesetze durchzusetzen und Unternehmen wie Uber wirksam zu kontrollieren.
Roman Künzler ist Verantwortlicher Logistik und Transport bei der Unia und sagt: «Eine automatische Einstufung der Plattformfirmen als Arbeitgeberinnen ist auch bei uns sinnvoll. Mit einer einfachen Anpassung des Obligationenrechts könnte «Beschäftigungsvermutung» gesetzlich verankert werden. Damit würde zukünftig eine jahrelange juristische Verzögerung auf Kosten der Arbeitnehmenden und der Sozialversicherungen verunmöglicht.»